Antwort auf Fragen von Verdi zu mehr sozialer Absicherung von Soloselbständigen:

Vielen Dank für Ihre Fragen zur sozialen Absicherung von Soloselbstständigen, die ich Ihnen gerne im Zusammenhang beantworte.

Soloselbständige können in ganz unterschiedlichen Branchen und unter ganz unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen arbeiten. Deshalb gibt es aus diesen Reihen je nach eigener Betroffenheit auch ganz unterschiedliche Stimmen. Während z.B. hoch qualifizierte Berater oder Fachkräfte sich und ihre Arbeit gut "vermarkten" können, ist uns bewusst, dass auch viele in schwierigen, zum Teil prekären Verhältnissen tätig sind. Die Unionsfraktion hat sich deshalb in der vergangenen Wahlperiode sehr für die Belange von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Selbstständige mit besonderem Blick auf diese "kleine" und Soloselbstständigen eingesetzt. Mit dem Versichertenentlastungsgesetz haben wir 2019 den Mindestkrankenversicherungsbeitrag gesenkt und damit ganz besonders den besonderen Belangen vieler Soloselbstständiger Rechnung getragen.

Für die kommende Wahlperiode planen wir, das ist auch im Regierungsprogramm von CDU und CSU verankert, Selbstständige besser abzusichern. Hierzu wollen wir eine Altersvorsorgepflicht für alle Selbstständigen einführen, die nicht bereits anderweitig abgesichert sind. Selbstständige sollen zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und anderen insolvenzsicheren und zugriffsgeschützten Vorsorgearten wählen können. Wir werden Lösungen entwickeln, die auf bereits heute selbstständig Tätige Rücksicht nehmen und Selbstständige in der Existenzgründungsphase nicht überfordern.

Die Corona-Krise hat deutlich gemacht, dass sich für viele Soloselbstständige auch ein vorübergehender Wegfall von Aufträgen besonders schwer auffangen lässt. Daher kann ich mir persönlich sehr gut vorstellen, für Soloselbstständige analog zur Alterssicherung auch einen Zugang zur Arbeitslosenversicherung zu schaffen, auch wenn die praktische Umsetzung nicht einfach werden dürfte. Eine Lösung müsste voraussetzen, dass die Beiträge hierzu wie bei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auch aus dem Mehrwert ihrer Arbeit erwirtschaftet und gedeckt werden, indem sie je zur Hälfte von Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgebracht werden. Hier ist die Frage zu beantworten, wie die Parallele bei Soloselbständigen aussehen soll. Letztlich muss auch hier die Finanzierung der Altersvorsorge aus der Vergütung der Arbeit in der aktiven Zeit erwirtschaftet und hier "eingepreist" werden; das ist schwierig, weil das oft Problem gerade in der schlechten Einkommenssituation liegt.

Ihre Vorschläge eines Auftraggeberbeitrags zur Arbeitslosenversicherung von Soloselbstständigen halte ich deshalb auch für kaum umsetzbar. Der Auftraggeber wird solche Nebenkosten doch in das Honorar "einpreisen", ebenso wie ein Arbeitgeber die Bruttokosten eines Arbeitnehmers berechnet. Gegebenenfalls weicht er auf Auftragnehmer aus, die einen solchen Beitrag nicht leisten müssen. Die ohnehin schon bestehenden Abgrenzungsprobleme zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit würden dadurch im Zweifel auch nicht beseitigt, sondern durch zusätzliche Abgrenzungsnotwendigkeiten durch die Sonderstellung der Soloselbstständigen eher noch vergrößert. 

Das gleiche gilt für den Vorschlag der Einführung von Mindestauftragshonoraren. Diese könnten, da wir uns nicht in der abhängigen Beschäftigung befinden, nicht zwischen Sozialpartnern ausgehandelt werden, sondern müssten staatlich festgesetzt werden. Für Teile des Marktes würde also der Mechanismus von Angebot und Nachfrage ausgesetzt. Wenn Niedrighonorare in einer marktbeherrschenden Stellung des Auftraggebers begründet sind, muss der Weg aber über kartellrechtliche und ggf. andere an dieser Dominanz ansetzende Schritte führen, und nicht über eine Preis- bzw. Honorarregulierung. Diese würde doch im Ergebnis auch nur dazu führen, dass Aufträge dann an nicht soloselbstständige Unternehmensstrukturen vergeben würden. Hier ist m.E. der bessere Weg, im Bereich der Selbstständigkeit nicht am Mechanismus von Angebot und Nachfrage zu rütteln, sondern einen funktionierenden Ordnungsrahmen zu gestalten und konkrete Lösungen insbesondere innerhalb der bewährten Systeme zu finden.

Sie sprechen weiterhin auch Probleme mit "Scheinselbstständigkeit" an. Hierzu heißt es im Regierungsprogramm: "Wir werden Scheinselbstständigkeit verhindern und gleichzeitig mehr Rechtssicherheit für Selbstständige und ihre Auftraggeber schaffen. Daher haben wir in einem ersten Schritt noch 2021 das Statusfeststellungsverfahren für Selbstständige vereinfacht und beschleunigt. Die Auswirkungen werden wir genau beobachten und falls nötig Anpassungen vornehmen. Die personelle Ausstattung der Clearingstelle wollen wir verbessern."

Gerne setze ich mich in diesem Sinne für die Belange der Soloselbstständigen in der nächsten Legislaturperiode ein. 

Lassen Sie mich abschließend noch auf ein Thema kommen, das mir in Bezug auf "soziale Absicherung" sehr am Herzen liegt. Es betrifft das Thema Zwangsprostituierte. In der Stellungnahme, die verdi in der Sachverständigenanhörung in Landtag NRW zum Thema "Nein! Zum Sexkaufverbot des Nordischen Modells" abgegeben hat,  wurde der Blick sehr auf die selbstbestimmten und aus freien Stücken arbeitenden, eigenverantwortlichen Prostituierten gelegt. Wer freiwillig in diesem Gewerbe arbeite, der müsse sich auf den Schutz des Staates verlassen können. Darum geht es aber nicht.

Ich sehe das Problem darin, dass diese selbständig arbeitenden Frauen nur einen geringen Bruchteil von ca. 10 % ausmachen und der weitaus größere Teil von ca.  80 bis 90% unter Zwang und schlimmsten Ausbeutungsstrukturen arbeitet und das ganz legal in Deutschland. Nur ca. 80 Frauen sind in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung mit Kranken- und Rentenversicherung. Nur 40.000  von geschätzten bis zu 400.000 Prostituierten in Deutschland sind der Anmeldepflicht nachgekommen, alle anderen sind in der Illegalität, haben keine Lobby. Sie befinden sich unter der Kontrolle ihrer Zuhälter und Hintermänner in einem System von Drohung Gewalt und Ausbeutung ohne eigenes Konto und ohne Wohnung, ohne Kranken- und Sozialversicherung. Sie gelten dabei als "Selbständige", so dass Arbeitsschutz- und Mutterschutzregeln nicht greifen. Von allen anderen Wünschen, die Sie von der verdi-Gruppe zur besseren Absicherung Selbständiger an die Politik formulieren - Altersvorsorge, Arbeitslosenversicherung, Auftraggeberbeiträgen und Mindesthonoraren - einmal ganz zu schweigen. Und deshalb setze ich mich für das Nordische Modell ein, weil ich der Überzeugung bin, dass nur ein Sexkaufverbot nach schwedischem Modell, indem man die Nachfrage nach käuflichem Sex kappt, wirklich zur Eindämmung von Menschenhandel und Zwangsprostitution führt, und damit eine große vulnerable Gruppe von Mädchen und Frauen vor körperlicher und psychischer Ausbeutung schützt. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Ihnen hiermit eine Anregung geben kann, sich mit diesem Thema näher zu beschäftigen.

Freundliche Grüße
Elisabeth Winkelmeier-Becker

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