Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Sie haben es gemerkt: Wir freuen uns sehr, dass wir heute mit diesem Gesetzentwurf endlich ins parlamentarische Verfahren gehen können
(Jan Korte [DIE LINKE]: Endlich!)
und so dafür sorgen können, dass eine Mindestspeicherfrist für Kommunikationsdaten im Gesetzblatt verankert wird. Wir halten das für erforderlich, um schwere Straftaten aufzuklären und Gefahren abzuwehren, und zwar vor allem im Interesse der Opfer, die keine andere Hilfe haben als unsere Polizei, unsere Staatsanwaltschaft, unsere Gerichte und die deshalb auf deren Handlungsfähigkeit angewiesen sind. Deshalb wollen wir § 100 g StPO-E und § 113 b TKG-E sowie angrenzende Paragrafen neu regeln. Gut, dass dafür jetzt endlich ein Vorschlag vorliegt.
Aus den Grundrechten ist zum einen abzuleiten, dass sich der Staat nicht zu weit ins private Leben einmischen darf; das ist ganz klar. Aber es sind dieselben Grund- und Menschenrechte, die ebenfalls erfordern, dass sich der Staat darum kümmert, Gefahren abzuwehren, dass er also das materielle Strafrecht in der Praxis effektiv anwenden kann. Das haben sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als auch der EuGH ausdrücklich zugestanden. Unsere Behörden haben ja die Pflicht, bei Straftaten tätig zu werden. Dem zugrunde liegt das Legalitätsprinzip. Aber das Ganze nützt nichts und geht ins Leere, wenn keine Instrumente zur Verfügung stehen, um das umzusetzen.
Oft sind Verbindungsdaten die einzige Ermittlungsgrundlage, wenn es darum geht, eine Sache aufzuklären. Manchmal wirken diese Daten auch entlastend. Ein mir bekannter Fall aus der Praxis betrifft einen leicht behinderten jungen Mann, der einen Mord an einem Bekannten zugegeben hatte. Darauf deuteten auch einige Spuren am Tatort hin. Er hatte gestanden, wurde verurteilt, hat dann sein Geständnis widerrufen. Es konnte nachgewiesen werden, dass sein Handy zum Tatzeitpunkt an einem ganz anderen Ort war. Er wurde dadurch entlastet, und hinterher wurde der wahre Täter gefunden. Auch so etwas ist möglich, wenn es Vorratsdatenspeicherung gibt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Trotzdem handelt es sich nicht um ein populäres Thema; der Koalitionspartner weiß das. Gleichwohl muss ich sagen: Die Generalprobe hat hier doch bisher ganz gut geklappt. Wenn da am Samstag der nächsten Woche nicht mehr kommt, dann mache ich mir keine Sorgen.
(Zurufe der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir haben schon fast alle diesbezüglichen Stichworte gehört. Grob gesagt, handelt es sich um zwei Strategien: Einmal wird gesagt, der Eingriff, der mit der vorläufigen Speicherung von Verbindungsdaten verbunden ist – den will ich keineswegs bagatellisieren; aber er wird über die Maßen dramatisiert –, sei nicht mit der Verfassung im Einklang. Zum anderen wird der Nutzen kleingeredet. Beides haben wir hier heute Morgen schon gehört. Bemerkenswert ist dabei, wem bereitwillig und kritiklos geglaubt wird. Deshalb will ich, auch auf die Gefahr von Wiederholungen hin, noch einmal auf die Regelungen eingehen.
Erstens. Die Aussagekraft der gesammelten Daten ist deutlich weniger gravierend, als viele befürchten. Es geht nur um Verbindungen, nicht um Inhalte, nur um die Standortdaten zu Beginn eines Gesprächs. Da fürchten ja einige, dass auch nachvollzogen wird, wenn man mit dem angeschalteten Handy unterwegs ist, wann sich ein Handy in eine neue Funkzelle einloggt. Das ist nicht der Fall. Es geht auch um das, was Sie gerade gesagt hatten, Herr Korte: Mit der Speicherung der IP-Adresse wird keineswegs die Kontrolle des Surfverhaltens ermöglicht. Vielmehr regelt § 113 b Absatz 5 Telekommunikationsgesetz explizit:
Der Inhalt der Kommunikation, Daten über aufgerufene Internetseiten und Daten von Diensten der elektronischen Post dürfen auf Grund dieser Vorschrift nicht gespeichert werden.
Es ist gerade nicht so, dass man, wenn man eine IP-Adresse hat, kontrollieren kann: Was ist denn mit dieser IP-Adresse alles aufgerufen worden? Es geht nur andersherum: Man hat eine inkriminierte Website und kann herausfinden, von welchen IP-Adressen diese besucht wurde. Dann kann man heraussuchen, welche Person zu dieser IP-Adresse gehört, welcher Anschluss dazu gehört. Da dürfen Sie nicht immer das Falsche sagen. Bitte
lesen Sie doch einfach einmal den Gesetzentwurf an dieser Stelle.
(Beifall bei der CDU/CSU – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ein guter Vorschlag! – Jan Korte [DIE LINKE]: Das war jetzt nicht ganz klar, was Sie gesagt haben!)
Zweitens erfolgt eine dezentrale Speicherung der Daten bei den Providern, nicht beim Staat; auch das ist schon gesagt worden. Wir haben ganz klare und sehr hohe Zugangshürden für eine Nutzung. Wir haben den Richtervorbehalt. Wir haben die Kennzeichnungspflicht im weiteren Verfahren. Wir haben hohe technische Anforderungen. Und das alles für Daten, für deren Speicherung durch die Provider aus vertraglichen oder technischen Gründen die Voraussetzungen des Bundesdatenschutzgesetzes genügen. Für diesen Umgang mit diesen angeblich so hochsensiblen Daten genügt das Bundesdatenschutzgesetz. Nur weil sie jetzt hier in einen anderen Zusammenhang gestellt werden, ohne dass sie dadurch sensibler werden, greifen die genannten erhöhten Anforderungen. Wir genügen diesen auch. Aber die Daten werden dadurch, wie gesagt, nicht sensibler, und die Gefahr wird keinesfalls größer, sondern – es verhält sich also gerade umgekehrt – kleiner.
Aus den zwei Jahren, in denen die Vorratsdatenspeicherung zulässig war, ist auch im Nachhinein kein einziger Fall bekannt geworden, in dem es Missbrauch gegeben hätte. Die Daten werden schlicht und ergreifend einfach gelöscht, wenn die kurze Frist um ist. Im Fall der Abfrage wird transparent mitgeteilt, dass Daten erfasst worden sind. Was folgt daraus? Man muss sich vielleicht äußern. Man wird gefragt: „Haben Sie etwas gemerkt von einer Straftat, die stattgefunden hat?“, weil offenbar das eigene Handy am Ort der Straftat lokalisiert worden ist. Dann ist es doch nichts anderes als eine ganz normale Bürger- und Zeugenpflicht, dass man das, was man kann, dazu beiträgt, um einen Fall aufzuklären.
(Beifall des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU])
Allein aus der Tatsache, dass die eigenen Kommunikationsdaten in einer Abfrage ermittelt worden sind, geht kein einziger Verdacht hervor. Vielmehr müssen weitere Ermittlungen vorgenommen werden, um den Täter zu überführen.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Aber im Moment gibt es das doch nicht! Es gibt noch keine Vorratsdatenspeicherung!)
Wer hier von Generalverdacht spricht, den möchte ich einmal fragen, was denn die Alternative wäre. Wenn wir nicht alle Daten einbeziehen würden, würden wir nicht zu den relevanten Daten kommen. Wir müssten dann Kriterien festlegen, die den Anlass ausmachen. Was ist denn dann das Kriterium: Ist es die Gesinnung? Ist es das Geschlecht? Ist es der Glaube? Ist es die Herkunft?Was soll es denn dann sein? Alles andere ist diskriminierend. Deshalb müssen wir ebendiesen Ansatz so wählen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-neten der SPD)
Ich möchte auch auf die Studie des Max-Planck-Instituts eingehen, die schon genannt worden ist. Das Institut hat ohne Zweifel einen sehr renommierten Namen. Es lohnt sich aber bei dieser Studie wirklich, genauer hinzusehen. Diese Studie der kriminologischen Abteilung des Max-Planck-Instituts beruht auf Interviews von einigen Polizisten, Staatsanwälten und fünf Richtern. Sie ist insgesamt nicht wirklich repräsentativ. Die damals bei den Ländern geplante Erhebung war in der vorgegebenen Zeit gar nicht möglich. Das wird in der Studie auch zugegeben. In ihr wird davon gesprochen, dass sie auf keiner wirklich verlässlichen Datengrundlage beruht. Diese Studie wurde von der damaligen Justizministerin – bekanntermaßen keine Freundin der Vorratsdatenspeicherung –
(Jan Korte [DIE LINKE]: Wer hat sie denn das erste Mal eingeführt?)
in Auftrag gegeben.
Interessant ist, dass es zwei Versionen dieser Studie gibt.
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Stimmt!)
Die erste hat der Auftraggeberin offenbar nicht gefallen. Die Studie wurde zurückgegeben und musste überarbeitet werden. Dabei ergaben sich interessante Differenzen. Die Presse hat darüber berichtet, was in der einen und was in der anderen Studie stand.
(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: In der Süddeutschen Zeitung war es nachzulesen!)
Die Wertungen sind ziemlich unterschiedlich. Über die erste Studie heißt es in der Süddeutschen Zeitung: Wörtlich: „Essentielle Bedeutung haben retrograde Daten (die es erlauben, elektronische Verbindungswege nachträglich nachzuvollziehen; SZ) nach der Erfahrung der Polizeipraktiker“ besonders auch bei „Raubdelikten, schweren Gewalt- und Tötungsdelikten“.
Über die zweite Version heißt es dann zu der Bedeutung hierbei:
Eher nein – „für Kapitaldelikte sind Veränderungen in den Aufklärungsraten wegen fehlender Vorratsdaten nicht sichtbar geworden.“ Oho! Was ist denn da passiert? Eigentlich war der Sachverhalt abgeschlossen, und es ist nicht erkennbar, woher diese unterschiedliche Bewertung kommt.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Darüber haben wir doch gesprochen! Das wissen Sie!)
Ich bin sicher: Wenn diese Studie im zweiten Versuch nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hätte, wäre sie so zerpflückt worden, wie sie es verdient hätte. Selbst der Direktor des Max-Planck-Instituts und Leiter der strafrechtlichen Abteilung, Professor Dr. Ulrich Sieber, schreibt in dem Band über die Verhandlungen des Deutschen Juristentages, den er mit herausgegeben hat: Die bisherige Vorratsdatenspeicherung war in zahlreichen Fällen ein entscheidender und oft der einzige Aufklärungsansatz für die Verfolgung von Straftaten. Sie hat auch eine große Bedeutung bei der Ermittlung von organisierten Täterstrukturen.
Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin.
Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Auch er hält das für wichtiger als die erkennbare Auswirkung auf die Statistik.
Fragen Sie den Deutschen Richterbund, fragen Sie die Generalstaatsanwälte, fragen Sie den Sachverständigen Franosch, der als Sachverständiger vor kurzem im Edathy-Untersuchungsausschuss ausgesagt hat. Wir werden ihn auch als Sachverständigen in unserer Sachverständigenanhörung hören.
Vizepräsidentin Petra Pau: Sehr geehrte Kollegin, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie jetzt auf Kosten Ihrer noch nach-folgenden Kollegen sprechen.
Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Entscheiden Sie, wem Sie mehr glauben und vertrauen. Ich vertraue auf die Praktiker, die uns das Richtige sagen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)