Den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mittelstand stärken

Rede zum Einzelplan des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele Finanzminister haben es versucht und haben es auch beherzt angekündigt, aber unser Finanzminister, Dr. Schäuble, schafft es jetzt. Ich möchte deshalb an den Anfang meiner Rede mein Lob, meinen Dank und meine Anerkennung an die Haushälter der Fraktionen und der Koalition richten, dass sie dazu beigetragen haben, dass zum ersten Mal der Entwurf eines Haushaltes ohne Neuverschuldung vorgelegt wird. Ich denke, wir werden uns alle sehr darum bemühen, dass dieser Entwurf das Gesetzgebungsverfahren übersteht, sodass am Ende ein ausgeglichener Haushalt stehen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Nicht nur als Rechtspolitikerin, sondern auch als Mutter von drei Kindern, Großmutter eines kleinen Enkelkindes und als Nordrhein-Westfälin freue ich mich sehr darüber. In Nordrhein-Westfalen sind wir im Moment anderes gewohnt: Da trinkt die Regierung nur noch Leitungswasser und kann sich noch nicht einmal Sprudel leisten,

(Burkhard Lischka [SPD]: Na ja!)

weil man dort eben nicht so talentiert im Umgang mit Geld ist.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich trinke auch Leitungswasser, obwohl ich mir Sprudel leisten kann!)

Ich möchte auf den Justizhaushalt eingehen, der der kleinste aller einzelnen Haushalte ist. Er umfasst 0,16 Prozent des Gesamtvolumens der Einnahmen und 0,22 Prozent des Gesamtvolumens der Ausgaben. Durch Gebühren und Einnahmen in seinem Geschäftsbereich liegt die Deckungsquote aber bei immerhin 73 Prozent. Das sind natürlich Zahlen, mit denen wir Rechtspolitiker uns beim Finanzminister beliebt machen können. Unser Schwerpunkt liegt eben nicht im Verteilen von Geld, sondern in guten Regeln, in guter Rechtspolitik.

Aber so ganz ohne Geld geht es natürlich auch nicht. Aus dem Einzelplan Justiz und Verbraucherschutz werden zum Beispiel die Bundesgerichte finanziert. Herr Minister, wir waren am vergangenen Freitag beim Bundesverwaltungsgericht, als dort die Amtseinführung seines neuen Präsidenten und seines neuen Vizepräsidenten stattfand. Es wurden Reden gehalten, und es wurde auch die Bedeutung des Bundesverwaltungsgerichtes herausgehoben. Sie selber haben Gustav Radbruch zitiert, der gesagt hat: Gerade die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist der Schlussstein des Rechtsstaats, weil sie den Bürgern die Möglichkeit gibt, gegen Eingriffe seitens des Staates und der Verwaltung vorzugehen. Es war gerade 25 Jahre und einen Tag her, dass die erste Montagsdemo stattgefunden hat, bei der die Menschen genau darum gekämpft und dafür demonstriert haben. Ich denke, wir haben da einem sehr würdigen Akt beigewohnt.

Aber im gleichen Atemzug, Herr Minister, nehmen Sie dort eine Stelle weg. Sie streichen eine Richterstelle und ziehen die Stelle praktisch ins eigene Haus, geben das Geld also für zusätzliche eigene Ministerialbeamte aus. Das, denke ich, geht nicht. Wir können nicht das Bundesverwaltungsgericht, Teil der dritten Staatsgewalt, hier behandeln wie eine nachgeordnete Behörde. Da nimmt man Geld aus dem einen Haushalt und verleibt es dem eigenen ein. Dazu ist das Bundesverwaltungsgericht zu wichtig. Wir haben einige große Planungsvorhaben. Bei denen ist es nicht untypisch, dass sich Gerichtsverfahren anschließen. Die dürfen nicht deshalb länger dauern, weil wir weniger Richter und mehr Ministerialbeamte haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben in der Rechtspolitik ein sehr breit gefächertes Feld von Themen. Man kann nicht alles beleuchten. Ich möchte heute vor allem auf das eingehen, was wir in der Rechtspolitik gerade vonseiten der Union tun wollen, um den Mittelstand, den wirtschaftlichen, aber auch den gesellschaftlichen Mittelstand, zu stärken, weil er das Rückgrat unserer Wirtschaft und auch der Gesellschaft ist. Er ist es deshalb wert, dass man sich hier besonders um ihn kümmert.

Wir haben in diesem Zusammenhang vor der Sommerpause bereits das Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr beschlossen und damit den exorbitanten Zahlungsfristen, die es teilweise gab, ein Ende gesetzt. Wir haben uns da ganz bewusst gemeinsam für die mittelstandsfreundliche Variante entschieden. Wir wollen nicht dabei stehen bleiben, sondern viele Punkte, die der Koalitionsvertrag enthält, jetzt auf die Agenda setzen.

Als erstes Beispiel nenne ich das Insolvenzrecht. Hier brauchen wir mehr Planungssicherheit für Unternehmen. Wir haben in der Vergangenheit verstärkt Fälle geschildert bekommen, in denen Insolvenzverwalter hohe Forderungen an Unternehmer oder typischerweise an kleine Handwerker gestellt haben, die Jahre zuvor ihrem Geschäftspartner, der später in Insolvenz gegangen ist, Kredite gegeben, Zahlungsfristen eingeräumt haben – völlig geschäftstypische Vorgänge, auch gewünschte Vorgänge, gerade in Branchen, die saisonabhängig sind. Diese Unternehmer, diese Handwerker wurden dafür bestraft, dass sie ihrem Geschäftspartner solche Fristen eingeräumt haben.

Wir denken, es kann nicht sein, dass so etwas im Nachhinein bestraft wird, nämlich dadurch, dass noch Jahre später das Geld, das man für erbrachte Leistungen bekommen hat, in die Konkursmasse zurückgeholt werden kann. Hier müssen wir trennen zwischen geschäftstypischem und gewünschtem Verhalten auf der einen Seite und missbräuchlichen Fallgestaltungen auf der anderen Seite, die es natürlich auch gibt und bei denen eine Anfechtung berechtigt ist. Hier müssen wir uns um Kriterien kümmern, die das eine vom anderen trennen. Wir haben das vereinbart. Sie haben es auch versprochen. Ich hoffe, dass wir bald eine gute Beratungsgrundlage bekommen und das dann auch noch in das laufende Gesetzgebungsverfahren zum Konzerninsolvenzrecht einbeziehen können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein zweiter Punkt ist das Gewährleistungsrecht, auch gerade für Handwerker ein wichtiger Punkt. Da gibt es eine Unwucht zulasten mittelständischer Unternehmen, gerade in den Fällen, in denen die Produkte, die verwendet werden, die zum Beispiel eingebaut werden, unerkannte Mängel haben. Nehmen Sie als Beispiel den Handwerker, der Fliesen einbaut, die äußerlich makellos sind, aber dann schnell brüchig werden! Dann kann sein Kunde ihn in Anspruch nehmen. Er muss alles wieder herrichten, kann seinerseits natürlich seinen Lieferanten in Anspruch nehmen, bleibt aber auf den Kosten des Einbaus oder Umbaus sitzen, obwohl sein Lieferant möglicherweise schuldhaft schlechtes Material geliefert hat. Da wollen wir einen Regressanspruch etablieren, damit derjenige haftet, der den Mangel auch zu verantworten hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ein weiterer Punkt, um es unseren mittelständischen exportorientierten Firmen einfacher zu machen: Wir diskutieren im Moment auch auf europäischer Ebene über die Etablierung einer neuen Gesellschaftsform, die es erleichtern soll, in verschiedenen europäischen Staaten unternehmerisch tätig zu sein. Im Moment liegt ein Richtlinienvorschlag zur SUP, Single Member Company, auf dem Tisch, der sich am angelsächsischen Vorbild orientiert. Aus unserer Sicht gibt es Nachteile beim Vertrauensschutz, was notariell geprüft wird oder nicht. Wir haben sehr schwache Vorgaben beim Haftungskapital, und wir haben – auch das ist relevant – deutlich schlechtere Rahmenbedingungen bei der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im jeweiligen Kontrollgremium. Das ist nicht unsere Vorstellung von einer neuen europäischen Gesellschaftsform.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollen einen besseren Ansatz. Den gibt es auch schon. Die SPE, eine andere Gesellschaftsform, orientiert sich mehr an unserem System. Hier habe ich die herzliche Bitte – ich glaube, wir sind uns hier einig; das entnehme ich Ihrer Reaktion –, dass wir uns auf europäischer Ebene rechtzeitig aufmachen, um bei anderen Ländern Verbündete zu suchen; denn nicht jeder findet automatisch das deutsche System besser als das angelsächsische. Ich bin davon überzeugt, dass unser System maßgebliche Vorteile hat und dass es sich lohnt, es auch auf europäischer Ebene zu etablieren.

Der nächste Punkt bezieht sich auf die Frauenquote. Ich freue mich sehr, dass wir in dieser Legislaturperiode maßgebliche Schritte machen werden, damit es letztlich auch in den Führungspositionen nur noch auf die Qualifikation und nicht mehr auf das Geschlecht ankommt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin auch dankbar, wenn wir in dieser Phase darauf achten, wie das Ganze praktikabel umgesetzt werden kann; und wir sollten ein offenes Ohr dafür haben, wo es in der Praxis Umsetzungsschwierigkeiten gibt. Sie sind naturgemäß da am größten, wo die Gremien kleiner sind oder auch die Familienbindung eines Unternehmens größer ist. Für ein familiengebundenes Unternehmen – anders ist die Situation in einem nichtfamiliengebundenen Unternehmen – ist es schwierig, die Frauenquote zu erfüllen, wenn es nur Söhne gibt. Ich bin sehr dankbar, dass wir die Freiheit und die Flexibilität haben, darauf einzugehen; denn davon wird die Akzeptanz der Frauenquote abhängen und damit auch die Frage, wie sehr sie funktioniert.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen Widerspruch hinweisen. Maßgebliche Impulse für diese Frauenquote kamen aus Europa. Die Justizkommissarin Viviane Reding hat Druck gemacht und unsere Diskussion ein Stück weit mitbestimmt. Jetzt haben wir den Befund, dass gerade bei der Europäischen Gesellschaft, der SE, diese Quote nicht verbindlich gilt, sondern nur für Aktiengesellschaften. Das ist letztendlich ein Paradoxon; das muss man wirklich sagen. Von Europa kam diese Vorgabe, und jetzt ist die europäische Gesellschaftsform geradezu der Ausweg, um sich der verpflichtenden Vorgabe zu entziehen. Das betrifft Firmen, die eigentlich klare Kandidaten für diese Quote wären: BASF, SAP, Allianz usw. usf. Ich rege an, dass wir auf europäischer Ebene vorschlagen, dass dieser Widerspruch aufgehoben wird. Ich lege dem Minister ans Herz, dies in Brüssel anzusprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die letzten Sekunden nutze ich für ein Thema, das zunehmend wichtiger wird. Das betrifft die Situation der Syndikusanwälte. Es gibt ein aktuelles, viel beachtetes Urteil des Bundessozialgerichtes, das sich auf die gesetzliche Rentenversicherung bezieht und auf die Frage, unter welchen Bedingungen Syndikusanwälte davon befreit werden können. Es gibt eine langjährige Praxis: Angestellte Syndikusanwälte können dann, wenn sie weisungsungebunden, rechtsgestaltend und beratend für ein Unternehmen tätig sind, im Versorgungswerk der Rechtsanwälte bleiben. Das ist bisher die Grundlage für berufliche Verläufe, die sehr flexibel sind, die von den Unternehmen erwartet werden und die einen Mehrwert an Erfahrung bieten. Wenn das unterbunden wird, dann führt das zu sehr viel Verunsicherung und zu schlechteren Ergebnissen. Es ist klar: Wer durch einen beruflichen Wechsel aus seiner gewohnten Altersversorgung aussteigen muss, wird sich den Wechsel dreimal überlegen.

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Frau Kollegin.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU):

Wir sind daran interessiert, an einer flexiblen und sachgerechten Lösung zu arbeiten, und haben uns das auch fest vorgenommen. Die ersten Vorschläge und Überlegungen liegen bereits vor. In diesem Sinne werden wir weiter dafür sorgen, dass gute Rahmenbedingungen für unseren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mittelstand gegeben sind. Ich wünsche uns weiterhin gute Beratungen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)