Die vorliegenden Gesetzesentwürfe der Fraktion Die Linke zur organisatorischen Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive haben zwei Fragen aufgeworfen:
Erstens. Gibt es tatsächlich praktische Probleme im System der Justiz, die eine solch tief greifende Reform des Justizapparats erforderlich machen?
Zweitens. Sind die Vorschläge der Fraktion Die Linke geeignet, etwaige strukturelle Probleme zu lösen?
Beide Fragen beantworte ich mit einem klaren Nein, und ich nutze gerne die Gelegenheit dieser Debatte, um nochmals ausdrücklich festzustellen: Die Justiz in Deutschland funktioniert sehr gut. Sie ist im internationalen Vergleich effizient, frei von Korruption und fachlich auf hohem Niveau. Deshalb genießt sie in der Bevölkerung zu Recht ein hohes Ansehen.
In dieser Legislaturperiode haben wir sie noch besser gemacht: Wir haben den Schutz vor überlangen Gerichtsverfahren – auch solche gibt es ausnahmsweise – ausgebaut, sodass jeder Bürger nunmehr das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Zeit besser durchsetzen kann; ansonsten steht ihm eine Entschädigung zu. Auch sind wir mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten einen entscheidenden Schritt in Richtung sichere und anwenderfreundliche E-Justice gegangen.
Unbestritten wäre eine Abhängigkeit oder gar inhaltliche Steuerung der richterlichen Tätigkeit durch die Exe-kutive, wie sie die Fraktion der Linken behauptet, mit Art. 97 Grundgesetz nicht vereinbar. Entschieden möchte ich an dieser Stelle aber dem Eindruck entgegentreten, dass die Entscheidungsbefugnisse der Exekutive in Bezug auf die Ausstattung der Justiz oder auf Personalentscheidungen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung infrage stellen.
Da ich während meiner Zeit als Amtsrichterin selbst keine einzige Einflussnahme der Exekutive in Form von Steuerungen von Karrieren durch Entscheidungen über die Beurteilung, Beförderung und andere Personalmaßnahmen auf die Justiz erlebt habe, habe ich in der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss den Vertreter der Neuen Richtervereinigung nach konkreten Beispielen gefragt. Schließlich sind die Entwürfe der NRV und der Fraktion Die Linke inhaltsgleich.
Konkrete Beispiele dafür, dass seitens der Exekutive auf die Richterschaft eingewirkt wird, und zwar mit welcher Erwartungshaltung, welcher Methodik, welcher Zielrichtung, konnten mir aber nicht genannt werden. Vielmehr werden Gefahren als Folge der Ausübung der Justizverwaltung durch die Exekutive lediglich theoretisch behauptet; über das Beurteilungs- und Beförderungswesen könne Einfluss genommen werden, was informelle Abhängigkeitsstrukturen begünstige.
Betrachten wir ganz objektiv den Global Competitiveness Report 2012-2013 des Weltwirtschaftsforums, so muss man feststellen, dass die deutsche Judikative im Bereich der Unabhängigkeit weltweit auf dem siebten Platz und damit deutlich vor den klassischen Vertretern einer selbstverwalteten Justiz liegt. Die von den Linken vorgeschlagenen Organisationsstrukturen bieten also -gerade keine Gewähr, zu mehr tatsächlicher Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu kommen. Klassische Vertreter einer selbstverwalteten Justiz wie Frankreich, Spanien und Italien liegen auf den Plätzen 39, 60 und 68 dieses Reports – deutlich hinter Deutschland.
Selbst wenn man ein Abhängigkeitssystem annehmen würde, so verweist Herr Professor Wittreck von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zu Recht darauf, dass die Entwürfe der Fraktion Die Linke das Problem nicht lösen, sondern nur ein Abhängigkeitssystem durch ein anderes ersetzen, das Problem also nur verlagern würden.
Während sich ein Richter bislang, hypothetisch betrachtet, an den Erwartungen des Ministerialdirektors im Justizministerium orientieren könnte, würde er im Rahmen der Selbstverwaltung über die Erwartungen eines Mitglieds des Justizrates oder Wahlausschusses nachsinnen. Die behaupteten Gefahren für die Unabhängigkeit der einzelnen Richter bzw. die Politisierung derselben würden also nicht beseitigt, sondern nur vom Ressortminister auf den Justizrat verlagert. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass ein Ressortminister dem Parlament und in periodischem Abstand dem Wähler gegenüber für seine Justizpolitik verantwortlich ist; für den Justizrat gilt dies nicht.
Nichts spricht dafür, dass wechselnde Präsidentschaften und rotierende Justizräte dazu beitragen würden, eine effektivere Justizverwaltung zu gewährleisten. Auch jetzt ist die Justiz bereits maßgeblich an organisatorischen Abläufen beteiligt. So verwalten im Präsidium die Richterinnen und Richter ihr Gericht selbst, soweit es um die Zuweisung der richterlichen Aufgaben und die Zusammensetzung der Spruchkörper geht. Richterdienstgerichte sorgen dafür, dass gravierendere Disziplinarmaßnahmen in Bezug auf richterliche Unabhängigkeit ausgesprochen werden. Das Ministerium gibt die ihm vom Parlament bewilligten Haushaltsmittel im Rahmen der dezentralen Budgetierung zum größten Teil an die Gerichte und Staatsanwaltschaften zur eigenverantwortlichen Verwaltung weiter.
Zu erkennen ist also, dass die Justizverwaltung ein vitales Interesse an der rechtzeitigen und umfassenden Einbindung der Gerichte und Staatsanwaltschaften hat, um deren justizpraktisches Know-how zu nutzen.
Entscheidend ist: Jede Ausübung von Staatsgewalt erfordert ihre demokratische Legitimation; sie muss auf das Volk als Legitimationssubjekt rückführbar sein. Gerade daran mangelt es dem Vorschlag der Fraktion Die Linke, in dem sich der Justizrat eben nicht auf eine ununterbrochene demokratische Legitimationskette stützen kann. Weder wäre der Justizrat durch das Volk legitimiert noch ist in dem Gesetzentwurf eine staatliche Rechtsaufsicht über diese vorgesehen. Es würde nach dieser Vorstellung eine von jeder demokratischen Kontrolle freie Richterschaft Entscheidungsträger hervorbringen, die sich unter Berufung auf richterliche Status-privilegien jeder parlamentarischen Kontrolle entziehen könnten.
Nicht zuletzt deshalb gehe ich auch weiterhin fest davon aus, dass die Bundesländer eine etwaige Grundgesetzänderung nicht mittragen würden. Die Union kann den vorliegenden Entwürfen deshalb nicht zustimmen.