Bereits im Gründungsstadium wären die meisten deutschen Unternehmen rechnerisch überschuldet

Wir behandeln heute in zweiter/dritter Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess. Das Gesetz regelt nun auch die dauerhafte Beibehaltung des derzeit geltenden modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffes und die damit verbundenen Änderungen im Finanzmarktstabilisierungsgesetz in Bezug auf § 19 Absatz 2 Insolvenzordnung.

Bis zum 17. Oktober 2008 galt der mit der Insolvenzordnung eingeführte Überschuldungsbegriff, wonach -juristische Personen verpflichtet waren, mithilfe der -sogenannten Überschuldungbilanz sicherzustellen, dass keine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne vorlag. Sofern von der Fortführung des Unternehmens auszugehen war, wurden Vermögen und Schulden zu Fortführungswerten bewertet. Entscheidende Bedeutung hatte somit ein rechnerisches Überschuldungselement. Bekanntlich muss bei Überschuldung binnen drei Wochen der Insolvenzantrag gestellt werden. Diese starre Regelung konnte zur Folge haben, dass Unternehmen aufgrund einer Momentaufnahme einen Insolvenzantrag stellen mussten, auch wenn sich eine positive Änderung der Vermögenslage in näherer Zukunft abzeichnete.

Als Reaktion auf die Finanz- und Bankenkrise haben wir die absolute Bedeutung der rechnerischen Überschuldung aufgegeben. Die Krise hat insbesondere bei Aktien und Immobilien zu erheblichen Wertverlusten und damit bei Unternehmen zu einer bilanziellen Überschuldung geführt. Konnten diese Verluste nicht durch sonstige Aktiva ausgeglichen werden, so wären die Organe dieser Unternehmen verpflichtet gewesen, innerhalb von drei Wochen nach Eintritt dieser rechnerischen Überschuldung trotz etwaiger positiver Fortführungsprognose einen Insolvenzantrag zu stellen.

Es gilt daher durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz wieder der vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung durch den Bundesgerichtshof vertretene modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff; dies allerdings befristet bis zum 31. Dezember 2013. Danach schließt bereits eine positive Fortführungsprognose stets eine insolvenzrechtliche Überschuldung aus. Erst bei negativer Prognose ist eine Überschuldungsbilanz aufzustellen. Entscheidende Bedeutung hat somit ein rechtliches Überschuldungselement in Form einer Zahlungsfähigkeitsprüfung.

§ 19 Absatz 2 der Insolvenzordnung wurde in seiner derzeit geltenden Fassung lediglich als vorübergehende Lösung für die Zeit der Finanzkrise eingeführt. Zunächst war beabsichtigt, dass ab dem 1. Januar 2011 der mit der Insolvenzordnung eingeführte Überschuldungsbegriff wieder in Kraft treten sollte. Mit dem Gesetz zur -Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7. Dezember 2011 wurde die Gültigkeit der Übergangsbestimmung bis zum 31. Dezember 2013 verlängert.

Die Auswirkungen dieser Regelung sind evaluiert worden durch eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene rechtsstaatliche Untersuchung. Darin kommen Professor Bitter und Professor Hommerich zu dem Ergebnis, dass die in der Finanzkrise getroffene Entscheidung, den Überschuldungsbegriff zu ändern, richtig war. Die volkswirtschaftlichen Vorteile überwiegen die Nachteile dem Gutachten zufolge klar.

Bei einer Rückkehr zum mit der Insolvenzordnung eingeführten Überschuldungsbegriff befürchten die Gutachter, dass an sich lebensfähige Unternehmen, bei denen die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie weiter erfolgreich am Markt operieren können, in ein Insolvenzverfahren gedrängt würden. Zu Recht weisen die Gutachter auf die Vorwirkung der nach bisheriger Rechtslage weitreichenden Rechtsänderung zum 1. Januar 2014 hin. Wenn absehbar ist, dass ein Unternehmen Anfang 2014 aufgrund des dann wieder geltenden „alten“ Überschuldungsbegriffs Insolvenzantrag stellen müsste, hat es schon Ende 2012 keine positive Fortführungsprognose mehr. Folge wäre bereits jetzt eine Insolvenzantragspflicht; das zeigt, dass bereits heute dringender Handlungsbedarf besteht.

Festzuhalten ist, dass sehr viel für eine dauerhafte Beibehaltung des aktuell geltenden Überschuldungsbegriffs spricht. Konjunkturelle Schwankungen und damit verbundene bilanzielle Bewertungen allein dürfen nicht zur negativen Fortführungsprognose eines Unternehmens führen, das auch in Zukunft erfolgreich am Markt tätig sein kann.

Der mit der Insolvenzordnung eingeführte Überschuldungsbegriff wird wegen der erforderlichen bilanziellen Überschuldungsfeststellung von vielen Praktikern weitgehend für unpraktikabel gehalten. Nahezu kein Unternehmen kann einer Überschuldungsprüfung zu Liquidationswerten standhalten. Bereits im Gründungsstadium wären die meisten deutschen Unternehmen rechnerisch überschuldet.

Ausweislich des genannten Gutachtens steht der dauerhaften Beibehaltung des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs auch nicht die Funktion als Auslöser einer Insolvenzantragspflicht entgegen. Insbesondere die straf- und zivilrechtlichen Sanktionen bei Insolvenzverschleppung zeitigen in Überschuldungsfällen keine große Wirkung, oder sie werden durch andere Tatbestände aufgefangen. Die zivilrechtliche Haftung wegen Insolvenzverschleppung beispielsweise wird ganz überwiegend auf Zahlungsunfähigkeit und nicht auf Überschuldung gestützt.

Dagegen hat sich § 19 Absatz 2 InsO in der derzeit geltenden Fassung in der Praxis bewährt. Die vorgesehene Entfristung trägt dem Rechnung und bringt für die betroffenen Unternehmen die im Rechts- und Wirtschaftsverkehr dringend gebotene Rechts- und Planungssicherheit.

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