Lehren aus dem Unrecht für heutige Jugendhilfe ziehen


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen!
 
Wir haben heute mehrfach auch Einzel­heiten darüber gehört, was Heimkindern widerfahren ist. Diese Geschichten machen uns immer sehr betroffen. Viele Menschen haben darunter viele Jahrzehnte gelit­ten, nicht nur in den Zeiten, die sie in Heimen verbracht haben, sondern das hat vielfach ihr ganzes Leben ge­prägt. Sie konnten lange Zeit nicht darüber sprechen, weil es zu schwer war, weil es geradezu unaussprechlich war, aber auch, weil es keiner hören und glauben wollte. Diese Lebensgeschichten müssen jetzt erzählt werden, sie müssen jetzt gehört werden. Dazu haben der Peti­tionsausschuss und dann der „Runde Tisch Heimerzie­hung“ das Forum gegeben. Es wurde daraufhin in der öf­fentlichen Diskussion aufgegriffen. Jetzt ist es an uns, am Parlament, daraus die Konsequenzen zu ziehen.
 
Schon die bisherige Diskussion ist nicht ohne Wir­kung geblieben. Sie verändert auch unseren Blick retro­spektiv auf die Zeit, in der das alles geschehen ist. Wir müssen daraus aber auch Lehren ziehen für das, was heute in der Jugendhilfe geschehen muss. Ich finde es toll, dass die Heimkinder nicht nur ihre eigene Situation in den Mittelpunkt stellen, sondern auch dafür eintreten, dass sich das, was sie erfahren haben, oder Ähnliches nie wieder ereignet.
 
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
 
Ich weiß natürlich, dass Heimerziehung heute ganz anders läuft als damals, dass das nicht vergleichbar ist. Es kommt aber in Einzelfällen immer noch vor, dass Kinder wehrlos bzw. ausgeliefert sind. Wir müssen alle dafür sensibilisieren, dass sie schutzbedürftig sind und nicht verletzt werden dürfen.
 
Der jetzt vorliegende fraktionsübergreifende Antrag knüpft an die Ergebnisse des „Runden Tisches Heim­erziehung“ an. Als ich zum ersten Mal gelesen habe, was der Bericht empfiehlt, habe ich mir gedacht, dass das wirklich nicht üppig ist. Der Umfang der finanziellen Leistungen in Höhe von 120 Millionen Euro ist sehr überschaubar. Auch die Tatbestände, bei deren Vorliegen Hilfe geleistet werden soll, sind nicht sehr weit gefasst. Im Wesentlichen beschränkt man sich auf den Ersatz für verpasste Rentenanwartschaften – für den entsprechen­den Rentenersatzfonds sind 20 Millionen Euro vorgese­hen – sowie auf die Bewältigung gesundheitlicher oder traumatischer Folgen, die nicht über die Krankenversi­cherung abgedeckt sind, und auf Hilfen bei der Aufklä­rung, was ja auch sehr wichtig ist. Dafür sollen 100 Mil­lionen Euro zur Verfügung gestellt werden.
 
Ehe wir das bewerten, sollten wir die Ausgangslage berücksichtigen. Da gibt es zum einen schlichtweg den Befund, dass hier Sachverhalte zur Bewertung anstehen, die nur sehr schwer aufgeklärt werden können. Dann muss man sicherlich auch sehen, dass Heimerziehung nicht per se und grundsätzlich immer nur als schädlich angesehen werden darf. Wir haben ja zum Glück auch Aussagen von Heimkindern gehört, in denen sie von lie­bevoller Erziehung und Zuwendung berichtet haben oder Problemlagen aufgezeigt haben, bei denen die Heim­erziehung die bessere Alternative darstellte. Vor allem ist es aber so, dass alle Schadensersatzansprüche verjährt sind. Man kann die Haftung zulasten der Täter oder Trä­ger auch nicht wiederbeleben. Deshalb gibt es an dieser Stelle keine zwingende Grundlage und auch keinen An­lass für den Bund, hier komplett für ausgleichende Ge­rechtigkeit zu sorgen und umfänglichen Schadensersatz zu leisten.
 
Vor diesem Hintergrund ist das, was nun herausge­kommen ist, kein schlechtes Ergebnis. Man muss auch sehen, dass Länder und Kirchen, in deren Verantwor­tungsbereich die Missstände bestanden haben, gemein­sam mit dem Bund diese Lösung gefunden haben und der Bund in diesem Rahmen auch seinen Beitrag leistet.
 
Ich möchte mich auch dafür einsetzen, dass die Aus­gaben des Bundes dafür nicht komplett im Einzelplan 17 untergebracht werden; denn das würde bedeuten, dass die Aufarbeitung des damaligen Leides auf Kosten der Kinder und Jugendlichen von heute erfolgt. Das wäre so ziemlich das Letzte, was im Sinne der Heimkinder von damals wäre.
 
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
 
Der Antrag bezieht auch die Heimkinder in der DDR mit ein, obwohl diese nicht Gegenstand des Runden Ti­sches waren. Aber die Diskussion am Runden Tisch hat auch das Bewusstsein für das Unrecht, das den Heimkin­dern in der DDR widerfahren ist, geschärft. Auch sie ha­ben Petitionen eingereicht. Ein bisschen schade ist, dass wir die Aufarbeitung nicht parallel betrieben haben. Es gibt aber bereits Vorarbeiten, zum Beispiel der Initiative Geschlossener Jugendwerkhof Torgau. Ich habe gehört, dass sich unter den Besuchergruppen eine Abordnung der Initiative des Jugendwerkhofs Torgau befindet. Wenn das stimmt, dann seien Sie herzlich gegrüßt.
 
(Beifall)
 
Bei der weiteren Aufarbeitung werden wir sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten zwischen den Situationen im Osten und im Westen feststellen. Eine Gemeinsamkeit ist eine aus heutiger Sicht teilweise mo­ralisch verstaubte und autoritäre Pädagogik, die allzu schnell von Verwahrlosung ausging, die alleinerziehen­den Müttern die Erziehungsfähigkeit generell absprach und die auch ein anderes Verhältnis zu Strafen hatte. Auf beiden Seiten werden wir Strafmethoden finden, die auch über das damalige Maß hinausgingen.
 
Es war aber eine Spezialität der DDR, den Hilfebe­darf selbst herbeizuführen. Zum Beispiel wenn die Ent­scheidung einer Familie, das Land zu verlassen und an­derswo zu leben, oder wenn allein Kritik am politischen System so kriminalisiert wurde, dass die Eltern in die Haft gesteckt wurden und die Kinder ins Heim mussten, dann ist das eine Besonderheit dieses Staates.
 
Es ist eine Spezialität der DDR, dass der Staat mit­hilfe der Heime sein Menschen- und Gesellschaftsbild durchsetzen und den Familien aufoktroyieren wollte. Deshalb ist das Unrecht an dieser Stelle nicht vergleich­bar.
 
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord­neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS­SES 90/DIE GRÜNEN)
 
Der Aspekt der politischen Verfolgung ist im Wesent­lichen bereits durch die Rehabilitationsgesetze aufge­griffen. In dem vorliegenden Antrag geht es mehr um den Aspekt, dass pädagogische Gründe dazu geführt ha­ben, Kinder in Heime zu stecken. Das von den Opfern empfundene Leid ist gleich. Deshalb ist das der entschei­dende Blickwinkel des Staates und unser Grund dafür, bei dem Engagement für die Opfer auf beiden Seiten den gleichen Maßstab anzulegen. Deshalb soll sich der Bund mit einem Drittel an den Kosten für die entsprechenden Maßnahmen zugunsten der Opfer in der DDR beteiligen.
 
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord­neten der SPD, der FDP und dem BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN)
 
Dass das nicht auf Kosten der Heimkinder im Westen geschehen darf, ist klar. Neben dem Drittel, das der Bund zahlen wird, werden auch die neuen Länder in die Pflicht genommen werden müssen. Des Weiteren ist über den Vorschlag nachzudenken, ob hier ein Rückgriff auf noch vorhandenes Vermögen der Parteien und Mas­senorganisationen der DDR möglich ist.
 
Herzlichen Dank.
 
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab­geordneten der FDP – Zuruf von der LINKEN: Der CDU!)

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