Rede zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen!


Bereits in der ersten Lesung zum Antrag der Grünen waren sich die Berichterstatter darin einig, dass insbesondere die Magersucht, aber auch jede andere Form von Mangel- und Fehlernährung ein sehr ernst zu nehmendes Problem darstellt. Laut einer Studie des Robert-Koch-Institutes hat jeder Zweite in Deutschland Übergewicht. Gleichzeitig hat die Zahl der unterernährten Erwachsenen in den vergangenen Jahren stetig zugenommen, wobei insbesondere junge Mädchen, aber auch immer mehr junge Männer unter Magersucht leiden. Das deutsche Institut für Ernährungsmedizin und Diätetik gibt an, dass in Deutschland fast 4 Millionen Menschen unter gefährlichem Untergewicht leiden.

Zu dem insgesamt sehr komplexen Thema haben wir eine öffentliche Expertenanhörung durchgeführt mit dem Ziel, mehr Aufmerksamkeit zu schaffen und zusammen mit den Experten über Lösungen und Wege nachzudenken, wie den betroffenen Menschen geholfen werden kann. Zunächst wurde uns bescheinigt, dass das Krankheitsbild Magersucht in den letzten Jahrzehnten zugenommen habe. Momentan sei hier allerdings die Plateauphase erreicht, man rechne also mit keinem weiteren Anstieg. Anders verhalte es sich jedoch beim Krankheitsbild Übergewicht. Hier sei weiterer Anstieg zu erwarten.

Die Ursachen hierfür - so wurde uns von den Sachverständigen einstimmig bestätigt – beruhen immer auf einem Bündel sowohl biologischer als auch psychosozialer und gesellschaftlicher Ursachen. Sie sind nicht nur auf ein durch Schlankheit geprägtes Schönheitsideal zurückzuführen. Es geht bei der Magersucht nicht nur und generell um Verfolgung eines Schönheitswahns, wir haben es mit einer schwerwiegenden psychischen Krankheit zu tun, die die jungen Menschen im Kampf gegen den eigenen Körper beherrscht. Letztendlich liegt der Zunahme der Magersucht ein gesellschaftlicher Wandel zugrunde, der weit über ein überzogenes Schönheitsideal hinausgeht. Dies zeigt sich zum einem durch eine ständige Verfügbarkeit von Nahrung einerseits und dem Verlust an Regulation durch gemeinsame Familienmahlzeiten zum anderen. Die familiären Strukturen und die soziale Einbettung von Kindern und Jugendlichen gehen zunehmend verloren. Zudem beruhen Essstörungen im Kern immer auf einer Schwächung des Selbstwertgefühls. Das Selbstwertgefühl in diesem Umfeld speist sich zunehmend aus externalen Bewertungen. Das Gefühl für den eigenen Körper wird ersetzt durch die Bewertung der Figur und die Gesamtheit menschlicher Fähigkeiten durch die Bewertung einzelner Leistungen. Die Experten sehen die Herausbildung von chronischen Krankheiten – dazu zählen Magersucht und andere Essstörungen – immer im Zusammenhang mit sozialem Status und Bildung. Die Experten sprechen von multifaktoriellen Ursachen für Essstörungen. Deshalb müssen auch die Maßnahmen auf dieses multifaktorielle Krankheitsbild zugeschnitten sein. In der Anhörung am 13. Mai wurde insgesamt von den Experten bestätigt, dass insbesondere innerhalb der Gesundheitsberufe eine große Sensibilisierung der Mitarbeiter stattgefunden habe. Es gibt auch sehr gute Angebote von Beratungsstellen, die oft sehr professionell sind und über Medien/Internet gut erreichbar sind. Das Problem liegt häufig bei den Betroffenen selbst. Betroffene würden zu spät auf Beratungsangebote zugehen. In einigen Regionen fehlen allerdings auch ausreichende Beratungs- und Therapieangebote. Wenn eine Patientin deshalb viele Monate warten muss, bis sie einen Therapieplatz bekommt, ist das sicher nicht hinnehmbar. Die nicht rechtzeitige Inanspruchnahme der Hilfsangebote durch die Risikogruppen wurde von den Experten als Problem angesehen.

Die Kampagne „Leben hat Gewicht“ der drei Ministerien Gesundheit, Familie, Bildung ist, das haben die Sachverständigen bestätigt, ein guter Einstieg, das Problem bekannt zu machen und auf Informationsmöglichkeiten und Hilfe hinzuweisen. Gleichzeitig wurde der 13. Kinder- und Jugendbericht „Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen- gesundheitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung“ gelobt, insbesondere weil hier auf die Ganzheitlichkeit von Familie, Gesundheit und Bildung abgezielt wird.

Ich möchte an dieser Stelle besonders das Engagement von Professor Mayer von der Klinik Hochried hervorheben. Er weist auf die Wichtigkeit der Vernetzung der Institutionen Jugendamt, Schule und Arzt vor Ort hin. Ihm ist es durch persönliches Engagement gelungen, diese Vernetzung so auszugestalten, dass eine optimale Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene stattfinden kann. Hier ist der Transport von der Ministerebene auf die kommunale Ebene in hervorragender Weise gelungen. Ich wünschte mir, dass dieses Modell Nachahmer findet.

Insgesamt habe ich den Eindruck gewonnen, dass wir durch die Kampagne „Leben hat Gewicht – gemeinsam gegen den Schlankheitswahn“ , erstmals gestartet im Dezember 2007, also etwa zeitgleich mit dem heute besprochenen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, einiges hinsichtlich Sensibilisierung und Vorbeugung gegen Magersucht bewirkt haben. Die Initiative setzt sich zusammen mit verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, auch Modewelt und Medien sind mit einbezogen, für Prävention und Aufklärung ein. Insbesondere Erziehende, Arzte und vor allem Eltern müssen in der Lage sein, Warnsignale zu deuten und so früh wie möglich gezielt gegenzusteuern. Hierbei helfen leicht zugängliche Informationen über das Krankheitsbild ebenso wie gute Angebote der Kinder- und Jugendhilfe. Gleichzeitig gilt es, die Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen zu stärken und gegen extreme Internetseiten vorzugehen. Dies wurde uns von der Sachverständigen von jugendschutz.net anschaulich bestätigt. Hier bietet uns das Jugendschutzgesetz ausreichend Möglichkeiten, jugendgefährdende Seiten schließen zu lassen. Jugendschutz.net sorgt dann gleichzeitig dafür, dass die betroffenen Mädchen nicht allein gelassen werden, sondern Hilfsangebote wahrnehmen können, so dass diese sogenannten Pro-Ana-Seiten zur Platzhalterseite für Hilfs- und Beratungsangebote umgewandelt werden.

Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat das Thema in verschiedenen Maßnahmen querschnittsmäßig aufgenommen und über das Bundesgesundheitsministerium stehen u.a. Internetadressen und andere Beratungsangebote zur Verfügung. Das Bundesbildungsministerium hat zudem - wie im Antrag der Grünen gefordert – Gelder über 7 Mio. Euro zur Entwicklung von Leitlinien und für weitere Forschung zur Verfügung gestellt. Die Experten haben uns bestätigt, dass es mittlerweile gelungen sei, mit allen Beteiligten, also mit Medizinern, Psychologen und Pädagogen zusammen, Leitlinien zu entwickeln, die auch in der Praxis implementiert werden können.

Abschließend möchte ich noch kurz etwas sagen zum Brief der Chefredakteurin der britischen “Vogue“ an die führenden internationalen Designer, in dem sie die Designer aufruft, umzudenken. Dass sich die Chefredakteurin des einflussreichsten Modemagazins so deutlich gegen viel zu kleine Kleidergrößen äußert, sehe ich als Hoffnungszeichen, dass auch von Seiten der Medien Einfluss ausgeübt werden kann.

Ich denke, dass von Seiten der Bundesregierung und auch von Seiten des Gesetzgebers die wesentlichen Handlungsempfehlungen umgesetzt worden sind. Die Expertenanhörung hat uns gezeigt, dass Magersucht und Essstörungen immer auch im Kontext mit gesamtgesellschaftlicher Entwicklung zu sehen und zu behandeln sind.

Mit den genannten Initiativen und Maßnahmen sind wir meines Erachtens auf einem richtigen Weg. Darüber hinaus sehe ich im Augenblick keinen konkreten Handlungsbedarf für den Bundesgesetzgeber. Wir sind aber gut beraten, wenn wir dieses Problem weiter im Auge behalten und uns nach einiger Zeit nochmals genau ansehen, ob die bisherigen Maßnahmen, u.a. die Selbstverpflichtung der Modebranche und die Kampagne „Leben hat Gewicht“ mit ihren verschiedenen Ansätzen bei Forschung, Prävention und konkreten Hilfen zur Lösung des Problems tatsächlich beitragen können.

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