Frau Präsidentin!
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren an dieser Stelle häufig über das Problem der Kinderarmut. Wenn man den Titel des vorliegenden Antrags – „Hungern in der Überflussgesellschaft“ – liest, will man ihn eigentlich in diesen Problemkreis einordnen; aber es geht heute um etwas ganz anderes, einen eigentlich paradoxen Zusammenhang. Denn anders als in der Nachkriegszeit muss heute niemand mehr hungern, weil Nahrungsmittelknappheit bestünde. Im Gegenteil, gerade in finanziell ärmeren Schichten ist Übergewicht überproportional vertreten. Wenn es heute um Hunger und Magersucht geht, dann haben wir es mit anderen Ursachen zu tun. Das kann ein falsches Schönheitsideal sein; häufig geht es aber eben auch um massive Entwicklungsstörungen. Die Krankheit, mit der wir es zu tun haben, beruht dann letztendlich auf der Weigerung, erwachsen zu werden, oder auf einem fehlenden Selbstwertgefühl. Die Betroffenen, meist junge Mädchen oder Frauen, brauchen es dann für ihr Selbstwertgefühl, die totale Kontrolle über den eigenen Körper, das Hungergefühl und das Gewicht zu haben, und setzen sich da sehr stark unter Druck.
Ich denke, wir sind uns alle darüber einig, dass Magersucht und Fehlernährung gravierende Probleme sind. Es kann sogar Todesgefahr bestehen. Wir müssen das ernst nehmen, und wir tun das, allerdings nicht erst, seitdem die Grünen diesen Antrag vorgelegt haben. Bereits ein halbes Jahr vor diesem Antrag hat meine Fraktion einen Fachkongress mit Experten zum Thema „Heranwachsende vor Fehlernährung schützen“ durchgeführt, und schon im Mai 2007 hat die Koalition einen Antrag zu dem Thema der richtigen Ernährung mit einem umfangreichen Maßnahmenkatalog eingebracht, den der Deutsche Bundestag auch angenommen hat.
Schließlich hat die Bundesregierung fast zeitgleich mit dem heute hier zu debattierenden Antrag mit einem, wie ich finde, beeindruckenden Aufwand, nämlich mit der Beteiligung der drei zuständigen Ministerinnen,
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gelobt!)
Frau von der Leyen, Frau Schmidt und Frau Schavan, in seltener Eintracht zusammen mit weiteren Persönlichkeiten aus den Bereichen Mode, Kultur und Sport, eine großangelegte Kampagne vorgestellt: „Leben hat Gewicht – gemeinsam gegen den Schlankheitswahn“.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Die außergewöhnlich starke Besetzung mit drei zuständigen Ministerinnen zeigt, welche Bedeutung die Regierung diesem Ansatz beimisst.
Aber wichtiger als die Frage, wer als Erster die Idee aufgebracht hat, den Bundestag damit zu beschäftigen, ist die Frage, wie wir diesem Missstand abhelfen können. Ich glaube, hier liegen wir inhaltlich gar nicht weit auseinander.
Im Mittelpunkt muss natürlich die Prävention stehen. Wir müssen ein Bewusstsein für ein realistisches, positives Körpergefühl schaffen, das keinen absurden Schönheitsidealen nachhängt. Generell müssen wir infrage stellen, ob das Aussehen eines Menschen überhaupt diese Bedeutung haben darf. Das muss man relativieren und ein Stück tiefer hängen; da gelten doch ganz andere Werte, die viel wichtiger sind.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir brauchen mehr Forschung über die Ursachen der krankhaften Magersucht, und wir müssen das Wissen über die Zusammenhänge zwischen Sport, Gesundheit und Ernährung verstärken. An dieser Stelle kann man dann auch sagen: Wer gesund und sportlich ist, tut damit vielleicht auch etwas für ein attraktives Äußeres.
Nach meiner Meinung leisten die Medien da übrigens teilweise ganz gute Arbeit. Eine undifferenzierte Medienschelte ist da nicht angebracht. Wenn ich in Zeitschriften über Diäten lese, dann geht es eigentlich niemals allein um den Verlust von Zentimetern und Kilos, sondern immer auch um Tipps für eine gesunde und ausgewogene Ernährung.
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Diäten sind die Einstiegsdroge!)
Ich will einige weitere vielversprechende Ansätze nennen. Der 13. Kinder- und Jugendbericht, der dieses Jahr noch vorgelegt wird, wird erstmals das Thema Gesundheit in den Mittelpunkt stellen und dabei auch den Aspekt der Ernährung bzw. der Krankheit durch Fehlernährung aufgreifen. Die Bundesregierung fördert Modellprojekte zur Stärkung der Selbsthilfe und Forschungsprojekte zum Thema Essstörung. Ich möchte hier beispielhaft nur ein einziges Projekt nennen. In diesem Projekt werden Mädchen ab dem sechsten Schuljahr an die Thematik anhand von Barbiepuppen herangeführt. Dieses Modell war schon in meiner Jugend bekannt. Bei mir hat es nicht zu Magersucht geführt.
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Barbiepuppen sind aber schlechte Models!)
Mit der Mode- und mit der Werbewirtschaft werden Gespräche mit dem Ziel geführt, eine Selbstverpflichtung zu erreichen. Ich denke, wir sind uns einig, dass Hungermodels eben nicht auf den Laufsteg gehören.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Eine letzte Bemerkung. Wir müssen uns klarmachen, dass es hier eigentlich um eine weitere Variante des Themas „Wie machen wir unsere jungen Menschen stark?“ geht. Wenn man es schafft, junge Menschen stark und selbstbewusst zu machen, dann ist das der beste Schutz davor, dass sie sich über ihr Aussehen definieren und sich durch die Beherrschung des Hungers beweisen müssen, dass sie sich selbst unter Kontrolle haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Ina Lenke [FDP])
Wir müssen jungen Menschen die Kraft geben, in die neue Rolle eines Erwachsenen hineinzuwachsen. Ob der Antrag der Grünen dazu neue Aspekte enthält, werden wir im Rahmen der parlamentarischen Beratung sehen. Ich freue mich darauf und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.