Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es geht heute in zweiter Lesung um die Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss.
Die bisherigen Regelungen besonderer Anspruchsvoraussetzungen für ausländische Staatsangehörige hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 6. Juli 2004 für verfassungswidrig erklärt, sodass wir uns nun erneut darüber Gedanken machen müssen, wie wir auch ausländische Kinder und ihre Eltern an diesen staatlichen Leistungen beteiligen wollen. Wir haben eine Regelung vorgelegt – das ist eine gute Nachricht für ausländische Familien –, die den Kreis der Berechtigten maßvoll ausweitet. Deshalb ist mit überschaubaren Leistungssteigerungen beim Kindergeld, beim Bundeserziehungsgeld und beim Unterhaltsvorschuss sowie mit Mindereinnahmen beim Einkommensteuergesetz zu rechnen.
Wir können es uns aber nicht leisten, dass alle Ausländer, die derzeit in Deutschland leben, an diesen Familienleistungen gleichermaßen beteiligt werden. Wir halten es für richtig – an diesem Leitmotiv orientiert sich der Gesetzentwurf – danach zu unterscheiden, ob von einem dauerhaften Aufenthalt der ausländischen Familie in Deutschland auszugehen ist oder nicht.
In Anbetracht der Haushaltslage halten wir es für berechtigt, bei dieser Leistungsausweitung zurückhaltend vorzugehen, das heißt, nicht unbedingt über das hinauszugehen, was von Verfassungs wegen gefordert wird.
Mir ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Existenzsicherung natürlich nötigenfalls durch Leistungen der Sozialhilfe für jeden Ausländer und für jedes ausländische Kind, unabhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status, von Anfang an garantiert ist. Heute geht es wirklich nur darum, zusätzliche Bonusleistungen für Familien in sinnvoller Weise zu konzentrieren. Für den unter finanziellen Gesichtspunkten wohl interessantesten Regelungsbereich des Kindergeldes – das ist schließlich das Kernstück des familienpolitischen Leistungsausgleichs des Staates – heißt das, dass die heutige Diskussion für all diejenigen bedeutungslos ist, die im Sozialhilfebezug stehen; denn für diese werden die Leistungen für die Kinder nach Sozialhilfesätzen – der Satz beträgt immerhin 207 Euro pro Kind und Monat – unter Anrechnung des Kindergeldes gezahlt.
Ich möchte zunächst auf den Grundsatz unserer Gesetzesänderung zurückkommen. Wir wollen Menschen, die sich im Einklang mit den Voraussetzungen des Aufenthaltsgesetzes dazu entschließen, ihren Lebensmittelpunkt und den ihrer Kinder dauerhaft nach Deutschland zu verlegen, fördern und ihre Integration unterstützen. Damit man sich die Dimension dieser Aufgabe klar machen kann, nenne ich ein paar Zahlen: In Deutschland leben etwa 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die als ausländische Staatsangehörige oder als Spätaussiedler zu uns gekommen sind. Das ist fast ein Fünftel der Bevölkerung in unserem Land.
Hinter dem Begriff Migration verbergen sich sehr unterschiedliche Lebensschicksale und Lebenswirklichkeiten. Manche kommen freiwillig und manche eben nicht. Entscheidend für eine Politik, die die Integration und die Förderung ausländischer Familien vorantreibt, ist immer, ob diese Menschen ihr Leben dauerhaft in unserer Gesellschaft führen wollen und können. Dabei bedeutet erfolgreiche Integration Identifikation, Teilhabe und Verantwortung. Dafür sind Anstrengungen auf beiden Seiten erforderlich: auf der einen Seite des Staates und der bürgerlichen Gesellschaft und auf der anderen Seite der Migranten und Migrantinnen selbst, die bereit sein müssen, sich auf ein Leben in unserer Gesellschaft einzulassen, das Grundgesetz und die gesamte Rechtsordnung vorbehaltlos zu akzeptieren und insbesondere das Erlernen der deutschen Sprache als ein sichtbares – oder besser gesagt: hörbares – Zeichen der Zugehörigkeit zu Deutschland zu setzen.
Aufseiten der deutschen Gesellschaft und des Staates bedeutet das gleichzeitig, diejenigen, die nun dauerhaft hier leben, zu unterstützen nach dem Motto: Wer fordert, muss auch fördern.
Es gibt noch einen anderen Zusammenhang, der es meiner Auffassung nach gebietet, die Leistungen auf diejenigen zu beschränken, die dauerhaft hier bleiben. Wir müssen uns angesichts unserer Haushalts- und Schuldenlage darüber klar sein, dass jede zusätzliche Sozialleistung nur auf Kredit, also als Wechsel auf die Zukunft, möglich ist.
Investitionen in Kinder und Jugendliche sind sicher eine gute Entscheidung, aber wir müssen sehen: Für Deutschland zahlt sich diese Investition nur aus, wenn die Kinder hier heranwachsen und sich als Leistungsträger in unsere Gesellschaft, aber auch in unseren Arbeitsmarkt integrieren. Es werden dann diese Kinder sein, die gemeinsam mit den deutschstämmigen Kindern das Bruttosozialprodukt erwirtschaften, von dem diese Schulden zurückgezahlt werden, während die Kinder, die in ihre Heimatländer zurückkehren, sich nicht daran beteiligen.
Das Bundesverfassungsgericht hat in dem zitierten Beschluss den Grundsatz unangefochten gelassen, dass sich die Gewährung von Kindergeld danach richten kann, ob eine Familie dauerhaft hier bleibt oder nicht. Wir stehen also nun vor der Aufgabe, geeignete Kriterien zu finden und Anspruchsvoraussetzungen zu formulieren, die die Prognose zulassen, dass es sich um einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland handelt. Das ist bei einer Niederlassungserlaubnis natürlich völlig unproblematisch. Auch bei anerkannten Asylberechtigten und Flüchtlingen ist die Situation klar.
Aber wenn nur eine Aufenthaltserlaubnis vorliegt, müssen weitere Kriterien hinzukommen. Der Gesetzentwurf knüpft für den Regelfall daran an, ob diese Erlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Dann ist von einem dauerhaften Aufenthalt auszugehen.
Ausnahmen sind dann vorgesehen, wenn die Aufenthaltserlaubnis nur erteilt wurde, um einen von vornherein nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt abzusichern. Es wäre nicht richtig, wenn wir zum Beispiel auch denjenigen Kindergeld gewähren, die sich nur als Studenten oder für die Dauer einer Ausbildung vorübergehend in Deutschland aufhalten.
Hier und heute streiten wir noch darüber, ob das auch für eine Aufenthaltserlaubnis gilt, die in Härtefällen nach § 23 a Aufenthaltsgesetz oder nach § 25 Abs. 3 bis 5 Aufenthaltsgesetz, also aus humanitären oder politischen Gründen, erteilt wurde. Die Koalitionsfraktionen gehen davon aus, dass in diesen Fällen nicht ohne weiteres mit einem dauerhaften Verbleib zu rechnen ist. In diesen Fällen, in denen es zum Beispiel um vorübergehende private Gründe gehen kann, aber natürlich auch um politische Verhältnisse im Herkunftsland, die einer Rückkehr entgegenstehen, ist der Aufenthalt in Deutschland eindeutig nicht auf Dauer angelegt, unbeschadet der Tatsache, dass sich der Aufenthalt länger hinziehen kann als ursprünglich geplant.
Im Prinzip muss man diese Situationen so beschreiben, dass der betroffene Ausländer jederzeit bereit ist, in seine Heimat zurückzukehren, sobald sich dort die Verhältnisse geändert haben und Reisehindernisse entfallen sind. In so einer Situation generell von dauerhaften Hindernissen auszugehen oder jede politische Veränderung zum Positiven im Heimatland der betroffenen Ausländer aus Erfahrung für unwahrscheinlich zu halten, wäre eine pessimistische Betrachtungsweise, der sich die Unionsfraktion nicht anschließen möchte.
Deshalb halten wir es im Gegensatz zu dem, was in den Anträgen von FDP und Linken steht, für angebracht, bei rechtmäßigem Aufenthalt – gestattet oder geduldet – als zusätzliche Voraussetzung eine dreijährige Wartefrist oder die Berechtigung zur Erwerbstätigkeit zu verlangen, bevor – wie gesagt, zusätzlich zur jederzeit garantierten Existenzsicherung – weitere Familienleistungen gezahlt werden.
Wenn der Aufenthalt aus diesen Gründen bereits drei Jahre andauert, ist das sicherlich ein Indiz dafür, dass sich die Situation tatsächlich verfestigt hat. Dann kann man den Sachverhalt anders beurteilen.
– Dann wird die Leistungsberechtigung auf Grundlage des Gesetzes angenommen.
Ich möchte kurz zusammenfassen: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung erfüllt in seiner vorliegenden Fassung die verfassungsmäßigen Vorgaben. Das haben die beteiligten Ministerien eingehend geprüft. In ihm werden richtige politische Entscheidungen getroffen. Insbesondere wird eine wichtige Unterscheidung getroffen: zwischen den Personen, die dauerhaft hier bleiben, und denjenigen, die nur für eine überschaubare Zeit bei uns leben, die zum Teil Zuflucht bei uns suchen, die wir ihnen auch gerne gewähren, die dann aber in ihr Herkunftsland zurückkehren oder in ein anderes Land gehen und sich in die dortige Wirtschaft und Gesellschaft integrieren.
Wir müssen die zusätzlichen finanziellen Mittel, die wir zur Verfügung stellen, auf die Familien konzentrieren, die sich für ein Leben in unserer Gesellschaft entschieden haben. Diese Familien zu unterstützen, begreifen wir als Investition in unsere gemeinsame Zukunft. Das tun wir gern.