Anfrage zum Thema: Wechselmodell als Umgangsmodell bei Trennung der Eltern

Sehr geehrter Herr ……,

vielen Dank für Ihr Schreiben zum Thema Wechselmodell als Regelfall.

Ich stehe dem Wechselmodell keinesfalls ablehnend gegenüber. Als ehemalige Familienrichterin bin ich davon überzeugt, dass es für Kinder in aller Regel am besten ist, wenn beide Elternteile gemeinsam Verantwortung für ihre Erziehung und Entwicklung übernehmen. Kinder sollen auch nach einer Trennung der Eltern möglichst eng mit beiden Elternteilen verbunden bleiben. Die gesetzlichen Bestimmungen des Familienrechts müssen darauf ausgerichtet sein, dass in jedem Einzelfall die für das Wohl des Kindes optimale Aufenthalts- und Betreuungsregelung sichergestellt werden kann.


Eine Betreuung des Kindes im Rahmen des Wechselmodells ist auf der Grundlage des geltenden Rechts schon heute möglich und wird praktiziert. Dies hat jüngst der Bundesgerichtshof bestätigt. Dafür spricht zweifelsohne der Umstand, dass das Kind auch nach einer Trennung in engem Kontakt mit beiden Elternteilen aufwächst. Diese können auf diese Weise ihre Elternverantwortung, die sie sich vor der Trennung im gemeinsamen Haushalt geteilt haben, jeweils im regelmäßigen Zusammenleben mit dem Kind weiter wahrnehmen. Kinder selbst haben regelmäßig den Wunsch, eng mit beiden Elternteilen verbunden zu bleiben.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der entscheidende Maßstab für die Anordnung des Umgangsmodells das Kindeswohl, das vom Gericht nach Lage des jeweiligen Einzelfalls geprüft werden muss. Das Wechselmodell ist anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Wechselmodell gegenüber herkömmlichen Betreuungsmodellen höhere Anforderungen an die Eltern und das Kind stellt, das bei doppelter Residenz zwischen zwei Haushalten pendelt und sich auf zwei hauptsächliche Lebensumgebungen ein- bzw. umzustellen hat. Das Wechselmodell setzt - neben höheren finanziellen Ressourcen, wie auch von Ihnen angesprochen - zudem eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus, weil andernfalls die nötige, regelmäßige Abstimmung über die Organisation des Alltags und die Bedürfnisse des Kindes nicht möglich oder zumindest beeinträchtigt ist.

Diese Maßstäbe sind grundsätzlich für richtig und geeignet, um sicherzustellen, dass das Kindeswohl stets im Mittelpunkt steht. Bei der Entscheidung des Familiengerichts werden dabei immer zahlreiche, unterschiedliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen sein – kein Fall gleicht dem anderen.

Der Bundesgerichtshof hat nun dargestellt, dass es bei fehlender Zustimmung eines Elternteils keinen Automatismus gibt, der ein Wechselmodell ausschließt. In der Praxis ist es allerdings schwierig, die konkrete Umsetzung im Alltag mit dem Kindeswohl in Einklang zu bringen, wenn dies von einer Seite abgelehnt wird. Entscheidend ist nach meiner Erfahrung vor allem die Frage, ob die Eltern eine Lösung hinbekommen, die den Kindern einen permanenten Loyalitätskonflikt erspart.

Zwei weitere Aspekte sind zu berücksichtigen: vor Gericht kommen zum einen nur die Fälle mit einer schwierigen, strittigen Ausgangssituation, in der es den Eltern auch mit Blick auf ihre originäre gemeinsame Verantwortung für das Kindeswohl nicht gelungen ist, die Familie zusammen zu halten oder zumindest eine einvernehmliche Lösung für das Kind zu finden. Ein grundsätzlicher Konflikt, wie er ein Wechselmodell im Alltag erschwert, ist also die regelmäßige Ausgangssituation in den Gerichtsverfahren.

Zum anderen ist es ohne weiteres für den nicht zustimmungsbereiten Elternteil möglich, die tatsächlichen Voraussetzungen zu verändern, z.B. auch durch Wegzug.

Vor diesem Hintergrund sind wir nicht davon überzeugt, dass der Gesetzgeber ein einheitliches Vorrangmodell vorgeben kann und sollte. Wir werden aber prüfen, ob die Maßstäbe, die für die gerichtliche Entscheidung maßgeblich sein sollen, im Gesetz besser konkretisiert werden können.
Wir sehen aber auch: Wo ein Wechselmodell in der Praxis gelingen kann, passen die geltenden Regelungen zum Unterhaltsrecht nicht mehr. Wir werden deshalb in der nächsten Legislaturperiode prüfen, wie bei Eltern, die sich die Fürsorge für das gemeinsame Kind teilen, der tatsächliche Aufwand zu den Unterhaltspflichten stärker ins Verhältnis gesetzt werden kann.

Hilfreich wären weitere belegbare empirische Ergebnisse dazu, wie Kinder selbst das Wechselmodell erleben und bewerten. Deshalb hat sich meine Fraktion dafür eingesetzt, dass das Bundesfamilienministerium eine Studie in Auftrag gibt, die die verschiedenen Umgangskonstellationen aus der Perspektive der Kinder und die Auswirkung auf ihr Wohlbefinden untersuchen soll. Ich denke, es ist ratsam, diese Ergebnisse abzuwarten und erst dann eine abschließende Bewertung vorzunehmen.

Freundliche Grüße

Elisabeth Winkelmeier-Becker