Sehr geehrter Herr …
Ich stimme Ihnen zu, dass Neuwahlen die schlechteste aller Lösungen wäre. Das Grundgesetz hat zu recht hohe Hürden vor Neuwahlen gesetzt; nachdem die Option „Jamaika“ nach dem Abbruch der Verhandlungen durch die FDP leider vertan wurde, geht es nun darum, diejenigen an den Verhandlungstisch zu bekommen, die zwar einen Kanzlerkandidaten aufgestellt hatten, bisher aber keine Regierungsverantwortung übernehmen wollten.
Ihre Ankündigung, im Falle von Neuwahlen deshalb die CDU erstmals nicht zu wählen, kann ich allerdings nicht recht nachvollziehen. Die Unionsparteien haben alles daran gesetzt, zusammen mit FDP und Grünen ein tragfähiges Bündnis zustande zu bekommen. Dafür wurden substanzielle Zugeständnisse gemacht, aber auch wichtige eigene Punkte durchgesetzt.
Die Schwierigkeiten der Regierungsbildung beruhen gerade darauf, dass die Volksparteien an Unterstützung verloren haben, was auch damit zu tun hat, dass der Wert ihrer ausgleichenden und integrierenden Funktion nicht mehr wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Dabei zeigt sich heute deutlicher als je zuvor, dass es in einer stabilen und guten Regierung immer mindestens einen sehr starken Partner braucht, der das große Ganze im Blick hat, der die legitimen und naturgemäß widerstreitenden Interessen der verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen ernst nimmt und zum bestmöglichen Ausgleich bringt, anstatt nur/vor allem die Anliegen der eigene Klientel oder wenige Schwerpunktthemen zu absolut zu setzen. Die Konstellation von einer solchen Volkspartei in Koalition mit einer kleinen Partei, die ihren jeweiligen Akzent setzen konnte, war das bisherige Erfolgskonzept der Regierungen in Deutschland. Die negativen Erfahrungen anderer europäischer Länder, in denen die früher großen Volksparteien ihre Bedeutung verloren haben (etwa Italien und die Niederlande) bestätigen dies.
Aus meiner Sicht sollte das deshalb eher ein Grund sein, die Volksparteien zu stärken, am liebsten natürlich die Union! Ich möchte Sie bitten, die staatstragende Funktion der Volksparteien, gerade der CDU, in Deutschland zu bedenken und sich auch in Zukunft für eine wieder starke CDU einzusetzen.
Freundliche Grüße
Elisabeth Winkelmeier-Becker