Mein Name ist Sheila Heuer, ich bin 18 Jahre alt und bin letztes Jahr nach meinem Abitur für neun Monate nach Brasilien gegangen, um dort in dem Kinder- und Jugendhilfsprojekt AMARE in Esperantina (Bundesstaat Piauí) als Freiwillige zu arbeiten. Im Folgenden werde ich das Projekt vorstellen und über die Arbeit und meine Eindrücke von dort berichten.
Vorweg möchte ich sagen, was mich am meisten bewegt hat. Ich selbst bin schon viel umhergereist und habe eine große Zahl an anderen Ländern und Städten kennen gelernt. Jedoch lernte ich nie einen so wundervollen Ort, wie AMARE, kennen. Ein Ort, an dem man überall Liebe spüren kann. Dieses Gefühl der Geborgenheit hatte ich seit meinem ersten Tag an. Die Herzlichkeit der Menschen, das Lächeln und die Umarmungen der Kinder… Wer die Möglichkeit hatte, dieses Projekt selbst kennen zu lernen, den Hügel zur AMARE hochzugehen, dabei auf die wunderschönen Blumengärten voller Schmetterlinge zu schauen und von den AMARE- Kindern mit einer musikalischen Aufführung empfangen wurde, weiß genau, wovon ich spreche. Egal von wo man herkommt, welcher Religion man angehört, ob man die Sprache versteht oder nicht, dort geht einem das Herz auf, man wird emotional sehr ergriffen und fühlt sich wie an einem himmlischen Ort.
Es scheint ein Wunder zu sein, dass ein junger Deutscher, names Johannes Skorzak, vor 40 Jahren nach Esperantina kam und von der dort herrschenden Armut und dem Hunger der Kinder so ergriffen wurde, dass er sich verantwortlich gefühlt hat, ihnen zu helfen und diesen magischen Ort zu gestalten. Natürlich war es nicht nur er allein, aber der Siegburger Johannes Skorzak war derjenige, der den Mut gezeigt hat, sich so einer großen Herausforderung zu stellen und sich entschieden hat, sein Leben für die Kinder in Esperantina zu geben. Zum Glück kann er heute seiner Arbeit als Geschäftsleiter an der Seite eines sehr starken Teams, bestehend aus 24 Vollzeitangestellten, 11 Teilzeitangestellten und 15 Freiwilligen, worunter zwei Zahnärzte, ein Allgemeinmediziner und 3 Psychologen sind, nachgehen. Sie betreuen täglich 460 Kinder und Jugendliche, zwischen 6 und 18 Jahren, die aus den Stadtrandvierteln Esperantinas kommen.
Alle Lehrer und Pädagogen haben ihre eigene besondere Art mit den Kindern umzugehen. Sie haben eine sehr gute Beziehung zu den Kindern, schenken ihnen Aufmerksamkeit und hören ihnen bei ihren Problemen zu. Die vernachlässigten Kinder Esperantinas, die die AMARE täglich besuchen, kommen meist aus sehr schwierigen Familiensituationen, in denen Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Missbrauch, Gewalt und die extreme Armut leider oft den Alltag prägen. Sie bekommen selten in ihrem Zuhause Liebe zu spüren, doch durch die AMARE lernen sie, was es bedeutet geliebt zu werden und geben diese Liebe dort sogar an andere weiter. In dem Projekt werden die Kinder und Jugendlichen nicht nur von der Straße geholt, in ihren Fähigkeiten gefordert und insgesamt besser auf ihre Zukunft vorbereitet, sondern sie werden für das Leben (wieder-) begeistert. Beitrag dazu leisten neben dem sehr vielfältigen Kursangebot der AMARE (Kapoeira, Fußball, Tanzen, Chor, Gitarren-, Klavier-, Blockflöten-, Saxofon-, und Perkussion Unterricht, Handarbeit, Recycling, Informatikkurse) auch die tägliche Meditations- und Gebetszeit, der schulische Stützunterricht und die psychosozialen Einzel- und Familientherapien. Da im Nordosten Brasiliens der Alltag leider immer noch von Hunger und Not geprägt wird, ist es von sehr großer Wichtigkeit, dass die Kinder und Jugendlichen täglich dort Frühstück, ein reichhaltiges und warmes Mittagessen und einen Nachmittagssnack bekommen. Bei den Besuchen der Familien der AMARE-Kinder an den Samstagen ist mir aufgefallen, wie dankbar die Eltern für die Unterstützung sind. Sie wissen, dass ihr Kind hier gut versorgt ist und Essen bekommt, was ihnen sehr viel Last abnimmt und die Möglichkeit gibt, beruhigt zu arbeiten, um für ihre Familie eine bessere Zukunft zu sichern.
Durch die weit verbreitete Armut, Hunger, unzureichenden Gesundheitsmaßnahmen, Arbeitslosigkeit werden die Bewohner des Nordosten Brasiliens nämlich noch heute täglich mit der Angst vor der unsicheren Zukunft konfrontiert. Im Jahre 2010 wurde von dem IPEA (Institut für angewandte wirtschaftliche Studien) erforscht, dass 48,3% der Bevölkerung unter dem Pro-Kopf-Einkommen von umgerechnet knapp 70 Euro monatlich leben. Die Arbeitslosigkeit ist ein fast noch größeres Problem, weil nur etwa 9% der Bevölkerung in einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Somit leben große Teile der Population im Nordosten Brasiliens unter absoluter Armut.
Auch wenn das Projekt schon bald sein 30-Jähriges Bestehen feiern darf, muss leider noch heute immer wieder aufs Neue um die Spenden von Deutschland und von Brasilien gekämpft werden. Während fast zwei Jahrzehnten wurde die Arbeit fast ausschließlich von deutschen Spendern getragen, wofür die Bewohner Esperantinas den deutschen Förderern von Herzen dankbar sind. Zum Glück wird langsam auch den Menschen in Brasilien bewusst, dass auch sie verantwortlich für die Zukunft der Kinder Esperantinas sind. AMARE startete vor knapp drei Jahren die Patenschaftskampagne „Apadrinhe uma criança“. Damit werden die Mindestansprüche für jedes anvertraute Kind garantiert. Mittlerweile zählt die AMARE etwa 600 Paten, die damit bereits zu gut 18 % des Gesamthaushalts beitragen, was im guten Sinne eine kleine soziale Revolution in Brasilien ist. Dennoch ist die Beteiligung von Brasilien noch längst nicht gesichert. Das Land steckt in einer seiner schlimmsten, wirtschaftlichen und moralischen Krisen seiner Geschichte. Die Gemeinde Esperantinas, die bis einschließlich letzten Jahres von den Bundesmitteln 4,16 Euro pro Kind pro Monat an das Kinder- und Jugendhilfsprojekt weitergeleitet hat, spendet ab diesem Jahr 2019 keinen Cent mehr, was das gesamte Projekt in eine sehr schwierige finanzielle Situation bringt. Aus diesen Gründen wird es immer schwieriger die monatlichen Kosten von etwa 37 Euro pro Kind zu decken.
AMARE konnte schon Tausende von Kindern und Jugendlichen durch ihre Arbeit unterstützen und ihnen die Chance auf eine sichere Zukunft geben. Denn das Allerwichtigste ist die Liebe, die dieses Projekt ernährt. Ich bin mir sicher, dass, die beeindruckende Liebe des Teams in ihrem Dienst und auch die Bereitschaft unserer Spender, bedürftigen Kindern und Jugendlichen zu helfen, die wichtigsten Grundbausteine des Projekts sind. Dennoch wird Ihre Hilfe benötigt, um das Projekt AMARE für lange Zeit am Leben halten zu können, um auch in Zukunft die zahlreichen, vernachlässigten Kinder Esperantinas neu für das Leben zu begeistern und ihnen einen Ort der Geborgenheit und Fürsorge bieten zu können.
O amor tudo vence.
Die Liebe besiegt alles.
Samira, 17 Jahre (ehemalige AMARE- Schülerin, seit 2018 Freiwillige im Projekt):
„Mein größtes Gefühl ist die Dankbarkeit dafür, dass ich ein Teil von dem besonderen Team sein darf, welches sich AMARE nennt. Hier sind all meine Talente und Träume erwacht, welche mich zu einer besseren Person gemacht haben. Dies macht mich sehr glücklich und ich bin dankbar für alle Werte und Fähigkeiten, die ich an diesem Ort gelernt habe. In vielen Fällen brauchen Kinder und Jugendliche diesen besonderen, aufmerksamen Blick, den AMARE ihnen gibt, um sich für das Leben zu begeistern und anzufangen, die Welt von einer ganz besonderen Seite zu sehen, ohne Gewalt und Bosheit. Ich danke Gott von ganzem Herzen, dass er mich auf diesen wunderbaren Weg, AMARE genannt, geführt hat!“
Meine Arbeit in der AMARE
Ich selbst bin sehr glücklich, dass auch ich Teil der AMARE sein durfte und die Institution mit meiner Freiwilligenarbeit unterstützen konnte. Während der Entwicklung meiner sprachlichen Kompetenz habe ich zunächst Gitarren- und Tanzunterricht den Kindern und Jugendlichen geben. Mit fortschreitenden Portugiesischkenntnissen konnte ich diese und auch weitere pädagogische Aufgaben, wie Hausaufgabenbetreuung und die Leitung eines Kurses zur Förderung des Umweltbewusstseins der Jugendlichen, in Selbstständigkeit übernehmen. Die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen hat mir sehr großen Spaß bereitet. Schnell konnte ich eine gute Bindung zu den Kindern aufbauen und innerhalb der neun Monate, die ich dort verbracht habe, haben sich enge Freundschaften entwickelt. Nicht selten kamen die Kinder und Jugendlichen zu mir und haben mir von privaten Problemen erzählt, wobei ich ihnen gerne zugehört habe. Mir ist aufgefallen, wie wichtig dieses Zuhören für sie ist, weil sie merken, dass sie als Person ernst genommen werden und es viele Menschen gibt, die ihnen wirklich helfen wollen. Ebenso habe ich sehr interessante Erfahrungen gemacht dadurch, dass ich die institutionellen Pädagogen, Erzieher und Psychologen bei den Hausbesuchen begleitet habe, die von unglaublich großer Wichtigkeit sind. Zum einen bestärkt es die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen noch mehr in der Arbeit, weil man spürt, wie dankbar die meisten Eltern für die Unterstützung der AMARE sind. Zum anderen kann durch die Zusammenarbeit der Institution mit den Eltern und Schulen, den Kindern und Angehörigen bei ihren Problemen deutlich schneller und effektiver geholfen werden.
In den letzten Monaten meiner Zeit dort half ich außerdem aktiv bei einer wissenschaftlichen Arbeit über die sozial-emotionale Entwicklung von den AMARE- Schülern mit, die in Zusammenarbeit mit der Bundesuniversität Piauí durchgeführt wird. Das Ziel dieser Arbeit ist es, den Erfolg der multidimensionalen Erziehung des Projektes bezüglich der Perspektiven für die Zukunft der Kinder mit statistischen Zahlen belegen zu können. Ich beteiligte mich dabei an der Erstellung von Befragungsbögen, führte Interviews mit pädagogischen Leitern und Lehren der AMARE und der öffentlichen Schulen durch und erstellte anschließend die graphische Datenauswertung. Auch wenn diese wissenschaftliche Arbeit noch lange nicht abgeschlossen ist, konnte man schon nach der zweiten Etappe große Erfolge sehen. Da diese Umfrage nur mit den Kindern und Jugendlichen durchgeführt wird, die dieses Jahr das Projekt zum ersten Mal frequentieren, konnte man schon nach vier Monaten erhebliche Verbesserungen der Kompetenzen und Schulnoten der Kinder erkennen.
Bis zu 15 Prozent haben sich im Durchschnitt die Zuverlässigkeit, Verantwortung und Disziplin der Schüler verbessert, was schon ein sehr großer Erfolg ist.
Zwischendurch waren immer mal wieder einzelne sekretarielle Arbeiten in den Abteilungen Marketing und Verwaltung zu erledigen, bei denen ich für mich viel Neues lernen und auch gerne meine eigenen Ideen einbringen durfte. Gerade wegen der schwierigen finanziellen Lage der AMARE sind die Arbeit des Marketings und die innovativen Ideen von großer Bedeutung, um vielleicht auch in Brasilien mehr Menschen erreichen und zum Spenden motivieren zu können.
Ich kann wirklich sagen, dass ich unglaublich glücklich bin, dass ich mich dafür entschieden hatte, mein freiwilliges soziales Jahr in der AMARE in Brasilien zu machen. Neben den ganzen neuen Kompetenzen, die ich dort erworben habe, war auch für mich persönlich diese Zeit von unfassbar großer Wichtigkeit. Ich wurde sehr in meinem Glauben bestärkt und habe unglaublich viele neue Erfahrungen gemacht bezüglich der anderen Kultur und Lebensverhältnisse in Brasilien. Jetzt, wo ich wieder zurück in Deutschland bin, weiß ich viel mehr zu schätzen, unter anderem so ein gutes Bildungs- und Gesundheitssystem, schlaglöcherfreie Straßen und eine Politik ohne Korruption zu haben. Noch nie zuvor habe ich Herzlichkeit, Empathie und Gastfreundschaft in diesem Ausmaß, wie von den Brasilianern erleben dürfen. Diese sehr positiven Eigenschaften der Menschen haben mir sehr geholfen, mich schnell an dieses so andere Leben und die ganzen Veränderungen zu gewöhnen. Die ersten zwei Monate, die nicht gerade einfach für mich waren, haben mich oft zweifeln lassen, ob ich diese große Herausforderung wirklich meistern könne. Aber trotz der anfänglichen Schwierigkeiten kann ich heute sagen, dass ich wirklich ein zweites Zuhause in Esperantina gefunden habe. Ich habe nicht nur eine Arbeit gefunden, die mich glücklich macht, sondern auch eine liebevolle Gastfamilie kennen lernen und unglaublich gute Freundschaften schließen dürfen. Mit Sicherheit werde ich diese wundervolle Zeit dort nie vergessen und ich bin mir ebenso sicher, dass mich all diese Erfahrungen in allerlei Hinsicht für mein Leben sehr geprägt und weitergebracht haben.
Liebe besiegt alles!