Sehr geehrte/r …,
„Ein Mann - eine Stimme“, das ist der elementare Grundsatz der Demokratie (Und natürlich gilt er seit mittlerweile 100 Jahren auch für Frauen!). Sie haben Recht, dass dieser Grundsatz bei den Europäischen Wahlen nicht zu 100 % garantiert ist, weil hier Doppelstaatler möglicherweise doppelt wählen könnten.
Dabei ist klar: Jeder Wahlberechtigte in Europa hat nur eine Stimme, er darf nur einmal wählen und macht sich nach § 6 Absatz 4 EuWG strafbar, wenn er die faktische Möglichkeit zur zweifachen Stimmabgabe tatsächlich nutzt.
In Deutschland bestimmt § 14 Abs. 1 Europawahlordnung (EuWO) welche Melderegisterdaten den Wahlbehörden zur Erstellung der Wählerverzeichnisse übermittelt werden dürfen. Dies sind derzeit Familiennamen und Vornamen, Geburtsdatum und Anschrift der Wahlberechtigten. Damit ist es den Meldebehörden nach derzeitiger Rechtslage untersagt, weitere Daten – auch zu weiteren Staatsangehörigkeiten – an die Wahlbehörden zu übermitteln.
Das Problem lässt sich durch eine Änderung unserer nationalen Gesetz leider nicht lösen. Zwar können in Deutschland durch entsprechende Anpassungen weitere Staatsangehörigkeiten bei den Wahlbehörden vermerkt werden, dass Hauptproblem des fehlenden europaweiten Abgleichs dieser Daten bleibt aber bestehen. Einem solchen europäischen Abgleich stehen insbesondere nationale Datenschutz- und Antidiskriminierungssgesetze entgegen.
Nach der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags, stehen vor allem in Frankreich (aber auch Großbritannien) datenschutzrechtlich begründete Verbote einer Erfassung weiterer Staatsangehörigkeiten entgegen. Zitat:
„Für Frankreich wird darauf verwiesen, dass es kein gesondertes Register für diesen Personenkreis gibt und das Datenschutzrecht die Erfassung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten verbietet, die Rückschlüsse auf die ethnische Herkunft erlauben könnten. Ausnahmen seien aber im öffentlichen Interesse möglich. Die britische Antwort verweist auf eine Erklärung der Regierung des Vereinigten Königreichs, nach der die Erfassung von Staatsbürgern mit weiteren Staatsangehörigkeiten, die keine Gefahr darstellen, als signifikanter staatlicher Eingriff ("significant and intrusive additional step") betrachtet werde. Die Errichtung und Unterhaltung einer entsprechenden Datenbank würden als unverhältnismäßig und übermäßig aufwendig ("disproportionate and overly burdensome") bewertet.“ (Quelle: https://www.bundestag.de/resource/blob/413168/d907b0c9b4c76640c9e98ea191ea4dce/WD-3-142-14-pdf-data.pdf)
Bevor diese europarechtlichen Hürden nicht ausgeräumt sind, würde eine einseitige nationale Änderung nicht zielführend sein. Bislang ist auch nur ein einziger Fall in der gesamten Europäischen Union bekannt geworden: Giovanni di Lorenzo.
Ich werde gleichwohl die für das Wahlrecht zuständigen Innenpolitiker und außerdem die Europapolitiker meiner Fraktion nochmals auf diese Problematik ansprechen. Wir sollten jetzt ausloten, ob nicht doch in Europa die Bereitschaft besteht und die Rechtsgrundlage geschaffen werden kann, den erforderlichen Datenabgleich bei der nächsten Europawahl tatsächlich zu gewährleisten. Eine Lösung erfordert allerdings letztlich eine gemeinsame europäische Entscheidung und eine Abwägung gegenüber datenschutzrechtlichen Aspekten, die ich für nachrangig halte, die aber offenbar von anderer Seite als relevant angesehen werden.
Insgesamt stimme ich Ihnen in der Bewertung der aktuellen Rechtslage zu; allerdings kann ich Ihre Schlussfolgerung nicht ganz nachvollziehen: der Verzicht auf die eigene Stimmabgabe ändert doch nichts an dem bestehenden Problem, macht es tendenziell eher schlimmer bzw. stellt einen eigenständigen Verlust an Demokratie dar und schwächt die demokratische Legitimation des EU-Parlaments! Ich hoffe deshalb, dass Sie beim nächsten Mal doch wieder von Ihrem Wahlrecht Gebrauch machen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Winkelmeier-Becker