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Abstimmung zur Öffnung der Ehe

Bei der heutigen Abstimmung zur Öffnung der Ehe habe ich mich enthalten. Meine Gründe:

A. In Lebenspartnerschaften werden wie in einer Ehe gleiche Werte gelebt, Rechte und Pflichten gegenseitig gewährt und übernommen werden und zum verbindlichen Lebensziel erklärt. Dort sollten deshalb auch gleichwertige rechtliche Maßstäbe angelegt werden. Aus diesem Grund befürworte ich die volle rechtliche Gleichstellung der ‎eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe.

Dazu gehört auch die rechtliche Gleichstellung beim Thema Adoption. Ich erkenne an, dass Kinder auch in Lebenspartnerschaften eine fürsorgliche sowie vertrauens- und liebevolle Umgebung erfahren können. Bereits heute können Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft auch fremde Kinder adoptieren, das entspricht Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Allerdings - das ist der einzige verbliebene Unterschied - kann dies in einem komplizierteren Verfahren nur nacheinander erfolgen (Sukzessivadoption). Die gemeinsame Adoption in einem Akt, die das Gesetz nur Ehegatten vorschreibt, war aber nicht als Privileg von Ehegatten gegenüber Lebenspartnern gedacht (auch wenn es heute oft so interpretiert wird); sondern sie sollte vor allem sicherstellen, dass beide Eheleute das Kind als das ihre annehmen und nicht einer der Partner einen Vorbehalt gegenüber dem Kind des anderen hat. Dieser Gedanke ist auf Lebenspartner ebenso übertragbar. Unverändert muss gelten, dass jedes Elternpaar nicht nach seinen eigenen Wünschen, sondern allein nach den Erfordernissen des Kindeswohls ausgewählt wird, wobei nach meiner Überzeugung die Auswahl eines Elternpaars mit Vater und Mutter auch weiterhin ein entscheidendes, positives Kriterium darstellen muss. Andere Aspekte, vor allem ein Pflegeverhältnis, Verwandtschaft oder Gewalterfahrungen in der Herkunftsfamilie können aber wichtiger sein und die Adoptionsentscheidung zugunsten einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft begründen. Das muss im Einzelfall das Jugendamt entscheiden.

Weitere relevante rechtliche Unterschiede zwischen Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft bestehen nicht mehr: Für die Abschaffung der früher bestehenden steuerlichen Ungleichbehandlung - die eine klare Diskriminierung beinhaltete - habe ich mich bereit vor einigen Jahren mit Überzeugung auch öffentlich in der Fraktion und auf dem Bundesparteitag gegen die damalige Mehrheitsmeinung gestritten.
Erst in dieser Wahlperiode ist außerdem ein langer Katalog verschiedenster Gesetzesänderungen durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner umgesetzt worden.

B. Ich habe andererseits aber Bedenken gegenüber einer Öffnung der Ehe auf dem Weg eines einfachen Gesetzes. Zum einen halte ich hierfür eine Verfassungsänderung für erforderlich. Nach ständiger, auch jüngerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht der Ehebegriff des Grundgesetzes von einer Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner als Wesensmerkmal der Ehe in Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes aus. Dies hat auch der Bundesjustizminister im Mai 2015 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage (DRS. 18/4862) bekräftigt.

Zum anderen halte ich es für den falschen Ansatz, die Gleichstellung herbeizuführen, indem der Begriff der Ehe umdefiniert wird. Die bloße Verwendung von verschiedenen Begriffen kann keine Diskriminierung "vor dem Gesetz" darstellen. "Ehe" (bzw. entsprechende Begriffe anderer Sprachen) ist ein historisch, kulturell und religiös besetzter Begriff, der als auf Lebenszeit angelegte und gesetzlich geschützte Verbindung einer Frau mit einem Mann zu verstehen ist. Er ist nicht durch staatliche Definition geprägt, sondern durch dieses Vorverständnis und wird in diesem Sinn weiterhin zum Beispiel von der katholischen Kirche verwendet. Diese Bedeutung ist in meinem Umfeld weiterhin maßgeblich, auch wenn sich hier Änderungen abzeichnen mögen. Mit der Lebenspartnerschaft steht ein Begriff bzw. ein Institut zur Verfügung, das der Ehe (mit der geschilderten Änderung im Adoptionsrecht) gleichgestellt ist. Auch wenn manche die Verschiedenheit der Begriffe als Diskriminierung empfinden, was ich sehr bedaure, kann das m.E. kein Grund sein, einen zentralen Begriff wie die Ehe inhaltlich zu verändern. Stattdessen habe ich die Aufnahme des Begriffs der Lebenspartnerschaft in das Grundgesetz vorgeschlagen, um so zu einem gleichen Schutz beider Institute zu kommen und auch die gleiche Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen.

Klar ist: man kann diese Argumentation teilen, oder auch zu einem anderen Ergebnis kommen. Die zum Teil sehr überzogenen Reaktionen auf meine Position mit den üblichen Unterstellungen und Vorwürfen sind für mich aber gerade kein Anlass, meine Haltung zu ändern.

Die Verfolgung homosexueller Menschen hat in Deutschland über viele Jahre großes Unrecht und Leid verursacht - in der Weimarer Republik, in der Zeit des Nationalsozialismus, aber auch in der neu gegründeten Bundesrepublik und in der Deutschen Demokratischen Republik. In der Diskussion über die Rehabilitierung wegen einvernehmlicher sexueller Handlungen verurteilter Menschen wurde dies nochmals deutlich. Aus Gesprächen und Begegnungen mit Homosexuellen weiß ich, dass diese Verfolgung weiterhin selbst bei jungen Menschen nachwirkt und zu der Grundhaltung beiträgt, sich als ausgegrenzt und weniger anerkannt zu empfinden. Erhöhte Selbstmordzahlen bei homosexuellen Jugendlichen sind dafür ein bestürzendes Zeichen. Hier erkenne ich die positive Signalwirkung des heutigen Beschlusses ausdrücklich an und habe mich deshalb entschieden, ihn nicht abzulehnen.

Ich bedaure aber, dass die SPD aus wahltaktischen Gründen entgegen dem geltenden Koalitionsvertrag der 18. WP nun ein konfrontatives Verfahren gewählt hat, so dass eine breitere Diskussion (wie von der Kanzlerin vorausgesetzt), die in einen neuen Koalitionsvertrag der 19. WP münden könnte, nicht mehr möglich ist. In diesem Fall hätte die Möglichkeit bestanden, eine deutlich größere politische und damit letztlich auch gesellschaftliche Mehrheit für die Gleichstellung herbeizuführen. Verfassungsrechtliche Bedenken hätten dann mit breiter parlamentarischer Mehrheit auch ausgeräumt werden können.

In Abwägung dieser verschiedenen Aspekte habe ich mich entschieden, mich bei der Abstimmung über den Antrag des Bundesrates zu enthalten.