Die vorliegenden Gesetzesentwürfe der Fraktion Die Linke zielen auf eine organisatorische Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive und damit auf eine umfassende und tiefgreifende Reform der Justizstrukturen. Neben den dafür notwendigen Änderungen des Grundgesetzes müssten zahlreiche Änderungen auf einfachgesetzlicher Ebene vorgenommen werden. Die in Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz normierte Unabhängigkeit der Richter zählt zu den verfassungsgestaltenden Strukturprinzipien des Grundgesetzes. Die richterliche Unabhängigkeit ist nicht nur Ausdruck des Gewaltenteilungsprinzips, sie gehört auch zum Standard rechtsstaatlichen Handelns. Die Gewährung des grundrechtlich garantierten effektiven Rechtsschutzes ist nur durch unabhängige Richter möglich, es gehört zum Wesen richterlicher Tätigkeit, dass sie durch einen nicht beteiligten Dritten in persönlicher und sachlicher Unabhängigkeit ausgeübt wird. Sie steht, wie der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Dr. Hans-Jürgen Papier, zu Recht beschrieben hat, außerdem in engem Zusammenhang mit der in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz hervorgehobenen Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Eine Abhängigkeit, gar inhaltliche Steuerung der richterlichen Tätigkeit durch die Exekutive wäre mit Art. 97 Grundgesetz nicht vereinbar. Aber müssen wir uns Sorgen machen, dass es hier Abhängigkeiten und unzulässige Einflussnahmen gibt, wie uns die Anträge der Linken glauben machen wollen? Gibt es tatsächlich Strukturen, die eine umfassende Reform der Justizstrukturen erforderlich machen? Und sollten uns dafür die Beispiele anderer europäischer Länder mit organisatorisch selbstständiger Justiz als Vorbild dienen?
Als Richterin am Amtsgericht habe ich selbst durchaus erlebt, dass mit dem zuständigen Justizministerium des Landes um knappe Gelder gerungen werden musste, dass hohe Fallzahlen, geringe Personalausstattung im richterlichen Dienst ebenso wie auf den Geschäftsstellen und in der Verwaltung durchaus Wünsche offen ließen. Oft ist es nur ein besonders engagierter Einsatz der Richter, aber auch der Mitarbeiter in der Verwaltung und auf den Geschäftsstellen, der die gewohnte zügige und fachlich hochwertige Bearbeitung der Streitfälle ermöglicht, die nicht zuletzt auch einen echten Standortvorteil Deutschlands im internationalen Vergleich ausmacht. Wir haben uns in dieser Legislaturperiode mit der Dauer von Gerichtsverfahren befasst und erstmals Rechtsmittel gegen überlange Verfahren eingeführt – auch in diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass eine knappe Ausstattung nicht ohne Auswirkung auf die Effizienz der grundgesetzlich geschützten Rechtsgewährung bleibt. Und dennoch kann ich die Analyse der vorliegenden Anträge nicht teilen. Dort wird geradezu der Eindruck vermittelt, dass die Entscheidungsbefugnisse der Exekutive in Bezug auf die Ausstattung der Justiz oder auf Personalentscheidungen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung infrage stellen und die deutsche Justiz in großem Maße verfassungswidrig agiere. Dies möchte ich klar zurückweisen.
Insbesondere habe ich keine Einflussnahme der -Exekutive auf die Justiz bei Personalentscheidungen erlebt: Ich selbst habe mich vor meiner Einstellung in den Richterdienst ausschließlich beim zuständigen OLG-Präsidenten vorgestellt. Beurteilungen wurden selbstverständlich ausschließlich von Richtern der jeweiligen Gerichtsverwaltung vorgenommen. Dass hier Befugnisse der Justizverwaltung, die in Personalunion von den Präsidentinnen und Präsidenten der Gerichte wahrgenommen werden, für eine Beeinflussung der Justiz genutzt werden, wird auch in den vorliegenden Anträgen nicht behauptet.
Bei der personellen und sachlichen Ausstattung der Gerichte bleiben immer Wünsche offen; dies gilt für die Justiz ebenso wie für die Exekutive auf allen staatlichen Ebenen, das gilt gleichermaßen auch für die Ausstattung der Verfassungsorgane mit eigenem Haushalt. Oder könnten Sie nicht noch mehr wissenschaft-liches Personal, mehr Hilfe bei der Presseauswertung, bei der Organisation und Vorbereitung von Terminen gebrauchen, wenn es ein noch größeres Personalbudget gäbe? Beim Bundestag, vermutlich ähnlich beim Bundesrat, aber ebenso in jeder Schule, jeder Stadtverwaltung, jeder sonstigen öffentlichen Verwaltung wird es ähnlich sein. Knappe Mittel sind also keineswegs ein Sonderproblem der Justiz. Vor allem ist mir wichtig: Zu keinem Zeitpunkt habe ich erlebt, dass Fragen der Ausstattung mit Personal oder Sachmitteln davon abhängig gemacht wurden, dass inhaltliche Vorgaben für die Rechtsprechung eingehalten wurden, dass bestimmte Verfahren vorgezogen oder anders behandelt wurden, als es die jeweils zuständigen Richter in ausschließlich eigenverantwortlicher Entscheidung bestimmt haben. Hier gab und gibt es keinerlei synallagmatischen Zusammenhang zwischen den Ausstattungs- oder Personalentscheidungen der Justizverwaltung auf der einen und richterlichen Entscheidungen auf der anderen Seite. Das ist nicht nur mein eigener subjektiver Eindruck, sondern das kann objektiv belegt werden. Der Global Competitiveness Report 2012 bis 2013 des Weltwirtschaftsforums kommt zu dem Ergebnis, dass die deutsche Judikative im Bereich der Un-abhängigkeit weltweit auf dem siebten Platz und damit deutlich vor den klassischen Vertretern einer selbstverwalteten Justiz liegt. Die Studie zeigt außerdem, dass die von den Linken vorgeschlagenen Organisationsstrukturen gerade keine Gewähr bieten, zu mehr tatsächlicher Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu kommen. Klassische Vertreter einer selbstverwalteten Justiz wie Frankreich, Spanien und Italien liegen auf den Plätzen 39, 60 und 68 dieses Reports deutlich hinter Deutschland. Wenn es in der Antragsbegründung heißt: „Deutschland muss wieder den Anschluss an den aktuellen europäischen Standard der Rechtsstaatlichkeit finden“, ist das demnach – gelinde gesagt – absurd. Ein Missstand, eine Abhängigkeit der Justiz von der Exekutive, die aus verfassungsrechtlichen Gründen eine grundlegende Justizreform erfordern würde, ist also keinesfalls festzustellen. Ob die Länder eine etwaige Grundgesetzänderung mittragen würden, ist eher zweifelhaft.
Gleichwohl: Jede Organisationsstruktur muss von Zeit zu Zeit überdacht werden. Vorschläge von Kollegen – schließlich basieren die Vorschläge der Linken auf Positionen der Neuen Richtervereinigung – werden aus Prinzip selbstverständlich ernst genommen. Wir werden dazu ebenso selbstverständlich die Stellungnahmen des Deutschen Richterbundes, der Berufsvertretungen und Kammern im Bereich der Justiz, der Lehre etc. berücksichtigen und dann die einzelnen -Vorschläge bewerten. Das ist uns unsere Justiz wert.